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Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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spüren lassen. Sie hatten ihn schlechter behandelt als ihre Hunde, hatten ihn gequält und gedemütigt. Gero hatte mit seinen daleminzischen Sklaven das Gleiche getan, wusste Tugomir. Aber er schämte sich dennoch.
    »Tja, Asik. Du und ich sind wandelnde Zeugnisse für den bitteren Groll zwischen Slawen und Sachsen«, spöttelte er.
    »Und ich habe nicht einen Funken Hoffnung, dass dieser Groll sich je wird beilegen lassen«, bekannte seine Geisel.
    »Weil beide Seiten ein Interesse daran haben, ihn wachzuhalten?«
    Die Frage schien Asik zu überraschen. Er dachte einen Moment darüber nach. Dann sagte er: »Womöglich ist es so.«
    »Hm«, machte Tugomir unbestimmt. »Geh zu meiner Frau und lass dir ordentliche Kleidung und ein Paar Schuhe geben. Hier kommt der Herbst früh. Du kannst dir das Haar wachsen lassen, wenn du willst.«
    Asik atmete tief durch und wandte sich ab. Über die Schulter brummte er: »Danke.«
    Tugomir verübelte ihm den unwilligen Dank nicht. Er wusste zu genau, wie es sich anfühlte, für etwas danken zu müssen, worauf man ein Anrecht besaß. Er selbst hatte das auch nie besonders überzeugend zustande gebracht.
    »Was kommt als Nächstes?«, fragte er.
    »Tuglo und Godemir«, antwortete Semela.
    »Und draußen steht ein Holzfäller aus der Vorburg mit seinem Söhnchen«, berichtete Dervan. »Das heißt, der Junge liegt im Gras und blutet am Kopf.«
    »Stark?«
    Dervan nickte. »Wie ein Sturzbach, Fürst. Sein Weib hat alles versucht, sagt der Mann, aber sie konnte es nicht stillen.«
    Tugomir schwankte einen Moment, aber im Grunde hatte er keine Wahl, wusste er. »Die Priester zuerst«, beschied er seinen beiden getreuen Schatten. »Semela, du siehst nach dem Jungen. Schick nach mir, wenn du mich brauchst.«
    »Ich könnte so oder so nach dir schicken«, schlug Semela vor. »Das würde dich von Tuglo erlösen, und wenn du den Jungen rettest, werden die Leute dich wieder für ein paar Tage vergöttern. Das käme uns gerade gut zupass, denkst du nicht?«
    Die meisten Heveller hatten Dragomirs Tod mit untypischem Gleichmut hingenommen. Es sei ein Zeichen der Götter gewesen, befanden sie, genau wie Slawomir gesagt hatte. Tugomir tat sich schwerer. Es war ein Unfall gewesen, das wusste niemand besser als er. Er hatte nur versucht, dem Jungen das Messer abzunehmen, damit es keinen von ihnen verletzte. Und doch klebte das Blut seines Neffen an ihm, und er fürchtete, es sei ein schlechtes Omen für seine Herrschaft, dass er sie damit begonnen hatte, das Blut seiner eigenen Sippe zu vergießen, unbeabsichtigt oder nicht. Er fürchtete sogar, Gott habe ihn verlassen und werde ihn mit Kinderlosigkeit bestrafen und sein Geschlecht verdorren lassen.
    Er hatte sich im Jarovit-Tempel verkrochen – dem Ort auf der Brandenburg, wo er sich dem Göttlichen immer am nächsten gefühlt hatte. In der dunkelsten Ecke hinter dem Wandschirm, wo einst seine Schlafstatt gewesen war, hatte er sich auf den sandbestreuten Boden gekniet und versucht, Zwiesprache mit dem Allmächtigen zu halten. Aber der Trost, den er in den letzten Monaten so oft im Gebet gefunden hatte, wollte sich nicht einstellen. Entweder war es der falsche Ort, oder er wählte die falschen Worte, jedenfalls konnte er Gott nicht erreichen. Und seine Vila mied ihn, seit er hierher zurückgekehrt war. Vermutlich verfluchten die alten Götter ihn ebenso wie der neue, weil er seinen Neffen getötet hatte.
    »Jetzt ist keine Zeit zum Trauern«, hatte seine Schwester ihm vorgehalten. »Die Heveller leiden Not und Unterdrückung – tu irgendetwas, Tugomir.«
    Doch er konnte nicht. Er war wie gelähmt. »Es hätte auch Wilhelm sein können«, hatte er Dragomira schließlich entgegengeschleudert, »er ist mein Neffe genau wie Dragomir.«
    Da hatte sie ihn endlich zufriedengelassen.
    Ein Teil seiner Düsternis rührte daher, dass er Mühe hatte, Dragomirs Tod zu betrauern. Wenn er schonungslos ehrlich zu sich selbst war – und das waren die schlimmsten Tage –, musste er sich eingestehen, dass der Junge zu viel von Bolilut gehabt hatte, um ein guter Fürst zu sein. Die Heimtücke und der kindische Trotz, mit denen er sich so plötzlich auf Semela gestürzt hatte, waren Beweis genug. Dragomir hätte alles daran gesetzt, die Heveller zu spalten und gegen Tugomir aufzuhetzen und die so dringend nötige Geschlossenheit zu untergraben. Und als Tugomir zu einer Reise durch sein Land aufgebrochen war, hatte er gesehen, wie miserabel Dragomir für die

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