Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
enger.«
Dragomira nickte. Sie sah der Frau aus dem Dorf in die Augen und versuchte, ihren Leib zu entspannen. Damit ihr Kind den Weg hinaus in die Welt finden konnte. Damit das hier ein Ende nahm … »Wie lange noch?«
»Nicht mehr lange«, sagte die Hebamme tröstend und zeigte ein beinah zahnloses Lächeln.
»Das hat sie heute Mittag auch schon gesagt, und jetzt geht die Sonne bald unter«, brummte Irmgardis ungehalten.
Dragomira atmete zweimal tief durch und schaute zu ihr auf. »Wenn du etwas Dringendes zu erledigen hast, dann … lass dich nicht aufhalten, Schwester.« Sie musste wieder keuchen, und es kam ihr vor, als liefe der Schweiß in Strömen über ihr Gesicht, über Hals und Brust. Und dann überrollte sie eine solche Woge von Schmerz, wie sie es nie für möglich gehalten hätte. Ihr Blick trübte sich. Ihr Mund öffnete sich zum Schrei, ihre Lungen füllten sich mit Luft. Doch sie presste die Lippen wieder zusammen und ließ den Schrei, wo er war.
»Es ist besser, du lässt es raus«, riet die Hebamme und massierte ihr mit sanften Fingern den Bauch.
Dragomira schüttelte den Kopf. »Nicht für mich. Ich muss …« Die nächste Welle kündigte sich an, schlimmer als zuvor, und beinah hätte Dragomira vergessen, dass sie eine Fürstentochter war.
Die Hebamme kniete sich zwischen ihren Beinen auf das dick aufgeschüttete Strohlager. »Es ist gleich so weit.«
Dragomira weinte. Immer noch stumm, aber bitterlich.
Die Tür zu ihrer Kammer öffnete sich mit dem vertrauten Quietschen. »Wie steht es?«, fragte die Mutter Oberin gedämpft.
Niemand antwortete. Dragomira öffnete die Augen und ertappte die Hebamme bei einem Kopfschütteln mit sorgenvoller Miene. »Was ist denn?«, fragte sie, und mit einem Mal war die Angst schlimmer als die Schmerzen. »Was stimmt denn nicht?«
»Steißgeburt, nehme ich an«, brummte Irmgardis mit unverhohlener Befriedigung.
»Da spricht die Expertin«, bemerkte Hilda von Kreuztal, die Äbtissin, trocken, und Dragomira spürte trotz allen Elends ein Kichern in ihrer Brust zittern, denn alle wussten, dass Schwester Irmgardis eine vertrocknete alte Jungfer war. »Antworte der Prinzessin, Jutta«, bat Äbtissin Hilda die Hebamme, und wie immer sprach sie ruhig, aber mit Autorität. »Sie hat ein Recht zu wissen, was mit ihr geschieht.«
»Das Kind liegt richtig, ehrwürdige Mutter«, versicherte die Hebamme. »Aber es will einfach nicht heraus. Das Becken ist zu schmal, das hab ich ja gleich gesagt.«
Dragomira legte einen Arm über die Augen. »Ich habe mir weder mein Becken noch diese Schwangerschaft ausgesucht.«
Eine kühle, schmale Hand legte sich auf ihre Stirn, eine zweite schob den Arm von ihrem Gesicht. »Du wirst dich einfach noch ein wenig länger in Geduld fassen müssen«, sagte die Äbtissin. »Als ich meinen Agilbert bekam, war es genauso, und ich dachte, es werde mich umbringen. Aber das hat es nicht. Und ich war nicht so tapfer wie du, glaub mir.« Sie lächelte.
Das gab Dragomira den Rest. Sie klammerte sich an die Hand und gestand: »Ich bin nicht tapfer. Ich hab Angst.«
Hilda bedeutete Irmgardis mit einem Blick, den Schemel neben dem Strohlager zu räumen, und nahm ihren Platz ein. »Ich weiß, dass es schrecklich ist. Aber du brauchst dich nicht zu fürchten, mein Kind. Jesus Christus steht dir bei, glaub mir. Er hält deine Hand genauso, wie ich es tue, auch wenn deine Finger es nicht spüren können. Deine Seele spürt es. Er ist bei dir und beschützt dich. Er teilt dein Leid und macht es wieder gut, du wirst sehen.«
Dragomira war erst seit zwei Wochen hier und war sich nicht sicher, wer genau dieser Jesus Christus sein sollte, aber die Anwesenheit der Mutter Oberin tröstete sie und gab ihr ein wenig Zuversicht. Bleib bei mir, dachte sie, geh nicht weg wie meine richtige Mutter, bleib bei mir und lass mich nicht allein. Aber natürlich durfte eine Fürstentochter dergleichen nicht laut aussprechen.
Dennoch schien irgendwer ihr Flehen gehört zu haben, denn Äbtissin Hilda wich nicht mehr von ihrer Seite, schickte die junge Schwester Gertrudis nach Wein und Irmgardis zur Komplet, sodass die kleine Kammer nicht mehr so überfüllt war.
»Wo ist Mirnia?«, fragte Dragomira zwischen zwei Wehen.
»Ich habe sie fortgeschickt«, antwortete die Äbtissin. »Für den Fall, dass sie selber schwanger ist, schien es mir klüger, sie hier heute nicht zuschauen zu lassen. Sie ist drüben im Obstgarten und hilft bei der Birnenernte.«
»Ich
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