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Das Haus am Abgrund

Das Haus am Abgrund

Titel: Das Haus am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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sich noch besser an. Ich blieb ganz ruhig stehen, um sie nicht zu erschrecken, und spürte die Bewegung ihres Atems. Es war gut, nicht allein zu sein in der Kälte.
    Nach einer Weile schniefte sie leise, schob mich weg und wischte einmal kurz und ärgerlich mit der Hand über ihre Augen. Dann lächelte sie mich an und sagte: »Danke.« Sie drehte sich weg. »Gehen wir nach Sam schauen. Und dann ... soll ich dir meine Lieblingsstelle zeigen?«
    «Gern«, erwiderte ich.
    Ich folgte ihr schweigend durch den langen Gang zu einer Treppe, die weiter hinauf führte. Oben war wieder so ein Gang, e twas schmaler als der darunter und weniger gut beleuchtet. November ging mit schnellen Schritten voraus und ich folgte ihr. Vor einer Tür, die in eines der Giebelzimmer führen musste, blieb sie stehen und klopfte. »Sam? Ich bin es. Mach doch bitte auf.«
    Ich hörte nicht, dass sich im Zimmer etwas rührte. November klopfte noch einmal und rief etwas lauter und ungeduldiger den Namen ihrer Schwester. Dann drehte sie sich mit einem Achselzucken zu mir um. »Sie zickt. Dann lassen wir sie eben, wo sie ist.« Sie rieb sich über die Arme. »Es ist ganz schön kalt.«
    Ich nahm das als Aufforderung, ihr den Arm um die Schulter zu legen.
    Sie lächelte unsicher und legte nach kurzem Zögern ihren Arm um meine Taille. Dann neigte sie den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Ich sah sie verblüfft an. Was genau erwartete sie jetzt von mir? Als ich es endlich begriff, hatte sie die Augen schon wieder geöffnet und war einen Schritt zurückgewichen. Sie wandte das Gesicht ab. »Da hinten ist die Treppe«, sagte sie.
    »Hör mal, ich ...«, begann ich verlegen, aber ich sprach zu ihrer sich entfernenden Rückseite. Ich hätte mich am liebsten in den Hintern getreten. Wie blöd konnte man sich eigentlich anstellen? Adrian Smollett, du bist ein Vollidiot!
    Wieder lief ich hinter November her. Die Treppe führte in eine tiefe Dunkelheit, anscheinend wurde dieser Teil des Hauses nicht beleuchtet. Ich folgte dem Geräusch ihrer Schritte auf der Treppe. »Sag mal«, rief ich ihr hinterher, »was hast du eben damit gemeint, dass du das Winterkind bist?«
    Sie gab mir keine Antwort. Ich hörte nur ihre stetigen, leichten Schritte und beeilte mich, den Anschluss nicht zu verlieren. E s wurde immer dunkler, immer kälter. Die Treppe schien kein Ende zu nehmen.
    »Warte auf mich«, rief ich. Ich begann zu keuchen. Mir wurde aber trotzdem nicht wärmer, sondern immer kälter und kälter. Das war kein Haus, das war eine Tiefkühltruhe! Und ich konnte Novembers Schritte nicht mehr hören. Ich blieb stehen, um zu Atem zu kommen und zu lauschen. Weit unter mir hörte ich das gleichmäßige Tappen von Füßen. »November«, rief ich laut. »Warte!«
    Die Schritte verstummten. In der Ferne erklang ein Ruf, eine Mädchenstimme. Ich schrie erleichtert zurück: »Ich komme! Warte auf mich!«
    Eine bestätigende Antwort. Ich pustete noch einmal durch und lief weiter die Treppe hinunter.
    Es war stockfinster. »Gibt es kein Licht?«, rief ich.
    Wieder antwortete die Stimme etwas, was ich nicht verstand. Aber ein Stück unter mir und etwas seitlich versetzt leuchtete ein Licht auf. Es war nicht besonders hell, aber ich konnte mich daran orientieren und fühlte mich schon weniger verloren.
    Wenig später hatte ich den Fuß der Treppe erreicht und lief auf November zu, die eine altmodische Lampe in den Händen hielt und mich erwartungsvoll anblickte. Wir standen in einem finsteren, höhlenartigen Gewölbe mit niedriger Decke. Es roch nach Wasser und Moder. Ein Luftzug brachte das ferne Geräusch von Brandung und den Geruch nach Salz mit, anscheinend gab es irgendwo eine Öffnung zur Klippe.
    »Sind wir im Keller?«, fragte ich. Sie nickte und hob die Lampe. Der Lichtkegel erweiterte sich, Wände waren aber trotzdem nicht zu sehen. Schatten tanzten über den Boden.
    » Das ist ganz schön gruselig hier unten«, sagte ich, um etwas zu sagen.
    November lachte. »Das ist doch nicht gruselig. Es ist ein ganz gewöhnlicher Keller. Komm, ich zeig dir meine Lieblingsstelle.« Sie nahm ganz selbstverständlich meine Hand und zog mich hinter sich her.
    Natürlich hatte sie recht, das war ein ganz gewöhnlicher, wenn auch riesengroßer Keller. Es gab Regale an den Wänden, in denen alles Mögliche lagerte – Kisten und Koffer, eingestaubtes Kochgeschirr und Pappkartons, Gartengeräte, löchrige Eimer, Putzzeug, kaputte Stühle und auf dem Gesicht liegende Tische,

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