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Das Haus am Abgrund

Das Haus am Abgrund

Titel: Das Haus am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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schüttelte sich und steckte das Handy ein. »Adrian«, sagte sie laut. Sie schüttelte ihn. »Wenn du jetzt nicht die Augen aufmachst und mir sagst, was mit dir los ist, wähle ich den Notruf.«
    Er seufzte und bewegte in einer schwachen, abwehrenden Ges t e die Hände. Sie betrachtete ihn misstrauisch. Er sah ganz und gar wieder wie er selbst aus. Sie hatte sich das eingebildet. Es musste der Schreck gewesen sein, darüber, dass der stille, zurückhaltende Junge sich plötzlich in eine wütende Schlägerei gestürzt hatte. Nicht, dass ihr das nicht imponiert hätte ... sich mit Oliver Gribben anzulegen, dazu gehörte Mut. Und eine Prise Wahnsinn, aber davon besaß Adrian Smollett sicherlich eine ordentliche Portion.
    Sie beugte sich vor und berührte seine Wange. »Ary? Ich rufe jetzt einen Krankenwa…«
    Er fuhr auf und griff mit beiden Händen nach ihr. Seine Augen waren weit geöffnet und wach. »Alles okay«, sagte er. »Alles im grünen Bereich. Ich kann gleich weiter. Muss nur noch ein bisschen Luft holen.«
    November sank zurück in die Hocke. »Du kannst einen aber auch erschrecken«, sagte sie vorwurfsvoll.
    Er beugte sich vor und hustete. »Tut mir leid«, sagte er heiser. »Das ist mir bisher immer nur zu Hause passiert. Du hättest mich hier einfach sitzen lassen sollen.«
    November lachte ungläubig. »Du spinnst«, sagte sie. »Kannst du denn alleine weiter? Wo ist dein Vater, soll ich nicht doch lieber versuchen, ihn zu erreichen?«
    Adrian schüttelte den Kopf und ließ sich vornüber auf die Hände fallen. »Toby ist in London«, sagte er und stemmte sich auf die Füße.
    »Mit Mr Magnusson?« Es wäre schön, wenn der Professor jetzt hier bei ihnen wäre. Er könnte Adrian nach Hause bringen und er würde ihr mit seiner großen, beruhigenden Hand über den Rücken streichen und sie über den ausgestandenen Schreck trös t en. Ihr Vater hatte das immer gemacht. Er hatte ihr fest über die Schulterblätter gerieben und »Alles wieder gut« gesagt. Alles wieder gut, Novemberkind.
    Sie blinzelte heftig.
    »Weinst du?«, fragte Adrian, der jetzt aufrecht stand. Er stützte sich noch immer an der Wand ab, aber sein Gesicht war nicht mehr so kreidebleich wie gerade eben noch. Und da war auch weder grünes Haar noch ein aufgemaltes Grinsen. Sie runzelte die Stirn. Was kam ihr daran nur so schrecklich bekannt vor?
    »Ich weine nicht«, sagte sie und nahm seinen Arm. »Komm, ich bringe dich nach Hause.«
    Sie gingen langsam zum Ende der Straße. Adrian lachte leise. »So geht das aber nicht«, sagte er. » Ich muss dich nach Hause bringen.« Er lächelte sie an. Ein ganz normales, kein bisschen irres Lächeln. November lächelte zurück.
    »Heute mal umgekehrt«, sagte sie. »Wir leben im 21. Jahrhundert, Ary. Ein Mädchen darf heute auch mal den Jungen nach Hause bringen.«
    Er drückte ihre Hand und erwiderte nichts darauf. Sie fand, dass er immer noch ganz schön angeschlagen aussah. »Was sind das für Anfälle?«, fragte sie. »Kommt das von dem Ding in deinem Kopf? Bist du dann nur ohnmächtig oder was passiert?« Sie dachte an den leeren, weggetretenen Blick, den sie schon einmal an ihm beobachtet hatte. Da hatte er ausgesehen wie eine Puppe, deren Spieler weggegangen war. Aber das heute war anders gewesen. Ganz anders.
    Er sah sie nicht an. Sie beschimpfte sich stumm, dass sie so eine peinliche Frage gestellt hatte, die ihm unangenehm sein musste. »Nein«, sagte er nach einer Weile. »Nein, es ist nicht wie e ine Ohnmacht. Ich kann es nicht erklären.« Er seufzte und hob die Schultern. »Ich muss dir doch vorkommen wie ein komplett Wahnsinniger.«
    Sie schob ihre Hand unter seinen Arm und drückte ihn. »Nein«, versicherte sie mit allem Nachdruck, den sie in ihre Worte zu legen vermochte, »nein, du bist der normalste Mensch, den ich kenne.« Es klang ziemlich pathetisch und reichlich unglaubwürdig, wenn man bedachte, was sie mit ihm schon erlebt hatte.
    Adrian lachte laut auf und Nova grinste verlegen. »Du weißt schon, was ich meine«, sagte sie.
    Er nickte und gluckste. »Du bist eine Marke«, sagte er. »Wirklich, du bist nicht weniger verrückt als ich.«
    Sie gingen in einträchtigem Schweigen durch den dämmernden Abend. Die salzige Luft war mit dem Duft von frischem Grün durchsetzt. November atmete tief ein und aus. »Meine Eltern und meine Geschwister sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen«, sagte sie. »Ich war danach eine Zeit lang in der Psychiatrie.« Sie redete nie

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