Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
für alle sichtbar waren.
Ihre Seite erschien. Jess hatte sie vor wenigen Tagen erst aktualisiert. Mit zahlreichen Fotos und zahlreichen Bildunterschriften mit zahlreichen Ausrufezeichen. Jess vor dem Buckingham Palast. Jess neben einem schwarzen Taxi. Jess vor dem London Eye, dem Westminster-Palast, einer roten Telefonzelle. Jess im West End, über ihr die riesigen Plakate der Musicals.
Jess war in London. Und den Fotos nach zu urteilen hatte sie den Spaß ihres Lebens.
Kapitel 29
Lieber Felix,
nächste Woche liegt Dein Tod schon zwanzig Monate zurück. Wir hatten wohl alle gehofft, dass dieser Tag ein bedeutsames Datum würde, uns in irgendeiner Weise helfen würde, doch nun glaube ich nicht mehr, dass dieser Tag je kommen wird. Dass es irgendwann einen Tag geben wird, an dem ich nicht verzweifelt bin, weil Du gestorben bist. Einen Tag, an dem ich mir nicht wünsche, ich hätte an jenem Nachmittag eine andere Entscheidung getroffen, ich hätte es irgendwie verhindern können. Ich durchlebe es immer und immer wieder und wünsche mir, ich könnte irgendetwas tun, damit es einen anderen Ausgang nimmt.
Doch ich bin zu einem Entschluss gelangt. Ich werde immer traurig sein, wenn ich an Dich denke, aber ich will auch versuchen, mich an die schönen Dinge zu erinnern. Jedes Mal, wenn ich traurig werde, möchte ich zum Ausgleich eine schöne Erinnerung in meinem Gedächtnis wissen. Ich werde mich darin üben, mich an all die schönen Dinge zu erinnern, die geschehen sind, als Du in unserem Leben warst, und nicht nur an die traurige Art und Weise, in der Du uns verlassen hast. Denn, Felix, es gibt so viele wunderschöne Erinnerungen. Ich weiß nicht, wie Du das gemacht hast, aber vom Moment Deiner Geburt an hast Du uns und unser Leben mit Glück erfüllt, einfach, indem Du bei uns und Du selbst warst.
Dies sind zwei meiner liebsten Erinnerungen:
Wie Du bei Deiner Geburt ausgesehen hast. Felix, Du hattest so viel Haar. Selbst die Krankenschwestern haben sich einen Kommentar erlaubt. Und es tut mir leid, dass ich es so drastisch formulieren muss, aber Du hast wirklich wie ein Äffchen ausgesehen.
Und dann habe ich einmal, da warst Du etwa vier Monate alt, versucht, Deine Windeln zu wechseln. Dir hat das gar nicht gepasst. Bei jedem Versuch hast Du gestrampelt. Ich habe es eine Weile unterlassen und dann von Neuem probiert. Aber nein, Du hast gestrampelt und geschrien und versucht, Dich aufzusetzen. Ich war nicht wütend, nur müde, und mein Ton war wohl ein wenig scharf: »Na schön, Felix«, habe ich gesagt, »dann trägst du eben keine Windel.« Das hat Dich getroffen. Es war, als ob Du mich verstanden hättest. Deine Unterlippe hat gezittert, und Du hast zu mir aufgesehen, als ob es Dir leidtäte, und dann, das war so komisch, hast Du Dich hingelegt, die Beine ausgestreckt, steif wie ein Brett, als ob Du sagen wolltest: »Na schön, dann mach. Wenn du dich so sehr aufregst, dann zieh mir das blöde Ding an.« Natürlich hattest Du Dich bloß gestreckt, aber ich glaube, ich habe selten so gelacht. Die Windel kam übrigens trotzdem zu spät. Du hast mich gründlich vollgemacht. Selbst schuld.
Ich vermisse Dich unsagbar, Felix. Es ist immer noch so schwer.
Kapitel 30
Von: Charlie Baum
An: Ella O’Hanlon
Betreff: Meredith
Ja, ich hab’s gesehen. Weniger MerryMakers , eher »Merry-kann-keinen-Muskel-mehr-bewegen«. Bin froh, dass sie darüber lachen kann. Auch wenn man ihr das jetzt nicht ansieht. Wie lang dauert es wohl, bis das Zeug aus ihr verschwindet?
Von: Charlie Baum
An: Ella O’Hanlon
Betreff: Ein anderes Thema
E, ich weiß, dass der Gedenktag kommt. Ich wollte dir nur sagen, dass wir in Gedanken alle bei dir sind. Bleib stark und tapfer und denk daran, dass wir dich alle lieben, und dass wir auch Felix sehr geliebt haben.
C xx
Von: Charlie Baum
An: Walter Baum
Betreff: Jess
Habe eben deine Nachricht bekommen. Nein, du hast recht, das klingt nicht nach ihr. Ich rufe dich morgen früh als Erstes an. Reg dich noch nicht auf. Vielleicht hat sie bloß ihr Handy verloren.
C
Kapitel 31
Liebes Tagebuch,
Ich bin’s, Jess.
Ich habe wahnsinnige Angst. Ich habe einen Riesenfehler gemacht. Ich sitze echt in der Klemme.
Ich hätte nicht nach London gehen sollen. Ich bin nicht gut genug. In Australien war ich ein großer Fisch in einem kleinen Teich, hier bin ich ein winziger Fisch in einem riesengroßen Teich. Doch das ist gar nicht das Problem. Oder zumindest nur ein Teil davon.
Ich bin aus dem
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