Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
mir.«
»Aber natürlich.«
Es war ein kühler, nebliger Tag. Die frische Luft war eine Wohltat. Ich ging in die Kensington Gardens und nahm den Weg zur Kensington High Street. Von dort aus folgte ich Lucas’ Wegbeschreibung. Ich kam an langen Reihen von Häusern entlang, deren Eingang, wie bei Lucas, an der Straße lag, doch die große Zahl der Namensschilder verriet, dass die Häuser in mehrere separate Wohnungen aufgeteilt waren. Je näher ich zu Henrietta kam, umso weiter rückten die Häuser von der Straße ab. Aus Stufen wurden Vorgärten. Dann bog ich in eine prachtvolle Straße, in der sich die Häuser hinter dichten Hecken und hohen Steinmauern verbargen. Was heißt Häuser, das waren Anwesen! Überall waren Kameras. Durch Zäune hindurch und über Mauern hinweg sah man Skulpturengruppen. In einem Garten stand ein Springbrunnen. In einem anderen fegte ein Gärtner das Laub zusammen.
Henriettas Heim war eines der größten Häuser dieser Straße. In der Außenmauer war eine diskrete Sprechanlage angebracht, eine erhöhte Kamera schaute genau auf den Punkt, an dem ich stand.
Ich drückte auf den Knopf. Einen Moment später – eine Stimme. Eine Männerstimme. Henriettas Mann? Damit hatte ich nicht gerechnet.
»Ja?« In diesem einen Wort schwang so viel mit. Selbstvertrauen. Intelligenz. Ungeduld.
»Hallo. Ich heiße Ella.« Kannte Henrietta mich als Ella Fox, Ella Baum oder Ella O’Hanlon? Ich wusste es nicht. Ich beließ es dabei. »Ist Henrietta zu sprechen?«
»Sind Sie eine ihrer Studentinnen?«
»Nein.« Wie sollte ich mich vorstellen? Ich war weder Studentin noch Freundin. »Ich bin die Nichte von Lucas Fox.«
»Einen Augenblick.«
Ich erwartete, dass sich das Tor nun öffnen würde. Was nicht geschah. Unsicher und verlegen stand ich da. Eine Minute später kam Henriettas Stimme durch die Sprechanlage. »Ella? Was machen Sie denn hier?«
»Ich muss mit Ihnen sprechen.«
»Hätten Sie nicht vorher anrufen können? Ich habe zu tun.« Sie seufzte, was der kleine Lautsprecher noch verstärkte. »Na, kommen Sie rein. Aber nehmen Sie den Seiteneingang. Die Haustür ist frisch gestrichen.«
Langsam öffnete sich das Tor, auf einen Landschaftsgarten hin, eine weiße Kiesauffahrt, zwei Autos und steinerne Stufen zu einer tatsächlich frisch gestrichenen gelben Tür. Ich ging um das Haus herum. Henrietta erwartete mich. Ich hatte mit einem Dienstmädchen oder einer Haushälterin gerechnet.
»Wieso haben Sie nicht angerufen?«, fragte sie erneut. Sie grüßte nicht.
»Ist es gerade ungünstig?«
»Ja. Aber kommen Sie trotzdem rein.«
Sie führte mich durch die Küche, einen lang gestreckten Raum mit glänzenden Armaturen und geordneten Regalen, dann eine Art Spülküche und über eine Treppe in ein Wohnzimmer im ersten Stock. Die Wände waren cremefarben. Der Teppich war dunkelblau. Die Möbel glänzten. Der Kontrast zwischen ihrem Haus und Lucas’ Heim war nicht zu übersehen.
»Tee? Kaffee?«
»Ein Tee wäre schön.« Ich wollte eigentlich keinen Tee, doch ich war dankbar für die Gelegenheit, meine Gedanken zu ordnen. Hier, auf ihrem Territorium, unter dem Eindruck ihrer übermächtigen Persönlichkeit, verließ mich der Mut. Ich hatte erwartet, dass sie jemanden rufen würde, um mir einen Tee zu machen, doch sie ging selbst nach unten.
Irgendwo klingelte ein Telefon. Eine Minute später war Henrietta wieder da. »Ella, das mit dem Tee wird dauern. Dieses Gespräch ist wichtig. Ich brauche mindestens eine Viertelstunde. Wollen Sie warten oder später wiederkommen?«
Wenn ich jetzt ging, würde ich nicht wiederkommen. »Ich warte gern.«
Ich setzte mich an ein großes Erkerfenster und sah mich um. Das Zimmer war wirklich schön. Die Einrichtung bestand aus Antiquitäten. Auf dem Marmorkamin reihten sich Porzellanfiguren auf. An den Wänden hingen Porträts und Landschaften, mit Kennerblick arrangiert. Wieder zog ich den Vergleich zu Lucas’ Heim, zu den Bücherstapeln im Eingang, den Dutzenden ungerahmter Drucke und Gemälde, die einfach an den Wänden lehnten …
Wie wollten Lucas und Henrietta je zusammenleben? Sie waren so verschieden. Vielleicht funktionierte das bei einer Affäre – offensichtlich hatte es bislang auch funktioniert –, aber als Dauerzustand? Lucas konnte Henrietta nicht glücklich machen. Er würde sie in den Wahnsinn treiben. Das würde niemals gut gehen. Und das war hoffentlich nicht nur Wunschdenken.
»Sie sind die Nichte von Lucas Fox, sagten Sie?«
Ich
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