Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
vorausgesetzt, sie wollten kommen.
»Möchtest du denn hinfliegen?«, hatte ich Charlie gefragt.
»Hallo Deutschland«, hatte er gesagt.
Er hatte versucht, witzig zu sein. Mir war nicht nach Witzen zumute gewesen.
»Erinnerst du dich überhaupt an sie?«
»Nicht sehr.«
»Bist du traurig?«
»Nicht wirklich.«
»Aber sie ist deine Mutter, Charlie.«
Er hatte mit den Schultern gezuckt. »Ich kenne sie nicht, Ella. Und wie soll man jemanden, den man nicht kennt, vermissen?«
Am Abend vor ihrer Rückkehr hatte ich stundenlang an meinem Banner gearbeitet. In der Ankunftshalle hatte ich es hochgehalten. Willkommen zu Hause, Charlie (und Walter!) Ich habe dich vermisst! (Euch beide!) xxxx Ich hatte nur Charlies Namen auf das Banner geschrieben, doch Mum hatte befunden, ich müsse auch Walter erwähnen, damit er nicht verletzt war.
Charlie war in Tränen ausgebrochen. Er hatte stundenlang geweint.
»Bist du sauer, dass ich heute kein Banner hatte?«, fragte ich.
»Nein. Ich hätte nur gern einen Vorwand gehabt, damit ich weinen kann. Du hast mir wahnsinnig gefehlt, Ella.«
»Du mir auch.«
»Uns allen. Mir. Lucy. Den Kids.«
»Es tut mir leid, Charlie.«
Mehr konnte ich nicht sagen, nicht in der Öffentlichkeit. Aber hoffentlich wusste er auch so, wie viel ich damit sagen wollte. Dass es mir leidtat, dass ich seine Familienberichte nicht mehr las. Dass ich ihn so lange nicht besucht hatte. Dass ich seinen Kindern zum Geburtstag oder zu Weihnachten keine Geschenke mehr schickte. Dass ich seine Familie in den vergangenen zwanzig Monaten vollkommen ignoriert hatte.
»Du bist jederzeit willkommen. Wann immer du bereit bist.«
»Ich weiß.«
»Vielleicht willst du kommen, wenn dein Auftrag als Privatdetektivin abgeschlossen ist?«
»Ist er. Hat Lucas dir das nicht erzählt? Ich wurde an der Spürnase herumgeführt.«
»Oh.« Charlie lächelte beschämt. »Du weißt Bescheid?«
»Lucas hat gestanden.«
»Lucas hat ein loses Mundwerk. Bist du sehr sauer auf uns?«
»Weil ihr mich den weiten Weg nach London gelockt habt, noch dazu unter falschem Vorwand? Und vier unschuldige Studenten fälschlicherweise des Diebstahls bezichtigt habt?«
Er nickte.
»Nein.«
»Es tut mir wirklich leid, Ella. Wir hatten uns solche Sorgen um dich gemacht. Wir wollten nur, dass du einmal innehältst, nur für ein oder zwei Monate, um zu sehen, ob …«
»Lucas hat es mir erklärt, Charlie. Es ist okay.«
Wir näherten uns der Paddington Station. Eine freundliche Dame auf dem Monitor bedankte sich für die Reise mit dem Heathrow Express. Ich musste Charlie etwas sagen. Und zwar jetzt.
Ich fasste in meine Tasche, holte Aidans Brief hervor und gab ihn Charlie. Ich beobachtete ihn beim Lesen. Ich kannte die Zeilen in- und auswendig.
Liebe Ella,
ich bin nächste Woche dienstlich in London. Falls Du mich sehen möchtest, ich bin im Paddington Hilton.
Darunter stand der Termin. Aidan war in der Stadt. Er war am Vortag angekommen und würde noch zwei Nächte bleiben. Er hatte mit seinem Namen unterschrieben. Nur mit seinem Namen, nicht mit: Alles Liebe, Aidan . Nur Aidan .
Charlie steckte den Brief in den Umschlag und gab ihn mir zurück.
»Wusstest du davon?«, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe neulich noch mit ihm gesprochen, doch von London hat er nichts erwähnt. Was machst du jetzt? Triffst du dich mit ihm?«
»Du hast neulich noch mit ihm gesprochen?«
»Ella …«
»Charlie, bitte. Ich muss das wissen.«
Charlie zögerte. »Ich hatte vorgehabt, mich in Washington mit ihm zu treffen. Wir wollten ihn überzeugen, Lucas zu besuchen, solange du da bist.«
»Wir?«
»Lucas und ich. Aber dann hat Aidan in letzter Minute abgesagt. Lucas hatte ihm erzählt, was wir vorhatten, und danach hat Aidan abgesagt. Er wisse unsere Besorgnis zu schätzen, hat er sich geäußert, aber das sei eine Sache zwischen dir und ihm.«
»Und hattest du vor, mir das zu erzählen?«
»Irgendwann einmal.« Er machte eine Pause. »Ehrlich gesagt, nein.«
»Charlie, hat Aidan eine Neue?«
»Was?«
»Als der Brief gekommen ist … Charlie, ich habe von Aidan monatelang nichts gehört. Fast ein Jahr lang. Ich glaube, er will mir sagen, dass er jemanden kennengelernt hat. Mich um die Scheidung bitten.«
»Ella, es tut mir leid. Ich weiß es wirklich nicht. Wir haben, seit er in Washington lebt, gelegentlich telefoniert, und da hat er immer nur nach dir gefragt. Jemand anderes hat er nie erwähnt.«
Der Zug fuhr in den
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