Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
aufgesagt.
Nun standen sie vor mir. Nicht als Ausdruck, wie das restliche Manuskript. Diese Zeilen hatte Aidan von Hand geschrieben.
Die Liebe ist langmütig, gütig ist die Liebe, die Liebe ist nicht eifersüchtig, sie prahlt nicht, ist nicht aufgeblasen. Sie handelt nicht taktlos, sie sucht nicht den eigenen Vorteil, sie lässt sich nicht erbittern, sie trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, freut sich vielmehr mit an der Wahrheit. Alles deckt sie zu, alles glaubt sie, alles hofft sie, alles erträgt sie.
Die Liebe hört niemals auf.
Kapitel 46
Ich weinte nicht. Nicht an diesem Ort. Nicht in diesem Moment.
Ich legte das Manuskript sorgfältig wieder zusammen und sicherte die Seiten mit den Gummibändern. Ich legte alles wieder in den Umschlag und den Umschlag in meine Handtasche. Ich verließ das Hotel und ging zum Hyde Park. Dann rannte ich los. Ich rannte, bis ich tief im Park war, allein, umgeben nur von Bäumen. Eine Bank stand dort, ein wenig abseits.
Ich setzte mich. Ich drückte meine Tasche an mich und weinte, wie ich seit Felix’ Tod nicht mehr geweint hatte. Von Ferne sah ich Menschen, Spaziergänger kamen in meine Richtung, doch ich konnte nicht aufhören. Ich weinte, bis die Tränen versiegten.
Danach war ich völlig erschöpft. Ich hätte mich auf den Rasen legen und auf der Stelle einschlafen können. Ich zwang mich still zu sitzen, dort an meinem einsamen Ort, mitten in London. Ich zwang mich, meine Umgebung wahrzunehmen, die Lichtstrahlen, die durch die Bäume drangen, den Himmel mit seinem schwachen Blau.
Ich zwang mich anzuerkennen, was ich tief in meinem Herzen schon seit Langem wusste.
Ich liebte Aidan noch immer.
Ich hatte nie aufgehört, ihn zu lieben.
Felix war tot. Unser wundervoller Felix war tot. Aber Aidan und mich gab es noch.
Er hatte mir einen Liebesbrief geschrieben. Einen hundertseitigen Liebesbrief. Keine Zukunftsvision. Er hatte mir die Vergangenheit gezeigt. Unsere Geschichte. Alles, was wir erlebt und geteilt hatten. Die Versprechen, die wir uns gegeben hatten. Nicht nur bei unserer Hochzeit, sondern in so vieler Weise, mit jedem gemeinsamen Tag. Einander wertzuschätzen. Aufeinander achtzugeben. Gemeinsam zu lachen. Uns zu lieben. Mit Leib und Seele. Was immer auch geschehen würde.
Alles erträgt sie. Die Liebe hört niemals auf.
Ich saß auf meiner Bank und dachte nach. Ich weiß nicht, wie viel Zeit verging. Eine Stunde?
Ich verließ den Park und gelangte auf die Bayswater Road. Links ging es zu Lucas. Rechts zum Hotel.
Ich ging nach rechts. Mein Aussehen war mir egal. Ich ging direkt in die Lobby, direkt zum Empfang. Diesmal war dort keine Schlange.
Ich sagte der jungen Rezeptionistin, dass ich mit einem Gast, mit Mr Aidan O’Hanlon, sprechen wolle.
Die Tastatur klackerte. »Es tut mir leid, Ma’am. Er hat schon ausgecheckt.«
»Sind Sie sicher?«
Ein weiteres Klackern. »Ja, Ma’am.«
»Aber ich habe ihn doch eben hier gesehen.«
Sie schaute noch einmal auf den Monitor, klickte auf noch mehr Tasten. »Er hat um 11:45 Uhr ausgecheckt. Es war eine Gruppenbuchung. Alle haben zeitgleich ausgecheckt.«
Es musste etwas passiert sein. Sonst wären sie nicht verfrüht abgereist. Mit zitternden Händen griff ich in meine Tasche. Ich nahm den Brief heraus. Dort stand es Schwarz auf Weiß. Die Termine. Ich zeigte es der Rezeptionistin. »Er sollte drei Nächte bleiben.«
»So war es auch, Ma’am.«
Sie zeigte mir die Zeitung mit dem aktuellen Datum.
Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Ich wusste nicht einmal mehr, welchen Tag wir hatten. Das ging schon monatelang so. Ich musste nicht zur Arbeit. Ich las auch keine Zeitung mehr. Für mich spielte das Datum keine Rolle.
Ich entschuldigte mich, bedankte mich und ging nach draußen. Ich überlegte, zur Paddington Station zu gehen und in den nächsten Zug nach Heathrow zu steigen. Ich ging los, doch dann blieb ich stehen. Wie sollte ich Aidan dort finden? Seine Maschine war möglicherweise schon gestartet, oder er flog von einem anderen Flughafen ab.
Ich wusste nicht, was tun. Ich wusste es einfach nicht.
Dann fiel es mir ein. Ich hatte seine Handynummer. Sie stand in seinem Manuskript. Ich wählte. Ich hatte mit Aidan von Angesicht zu Angesicht reden, ihm persönlich sagen wollen, was es zu sagen gab, doch das war nun meine Schuld. Ich hatte zu lang gewartet. Ich war zu spät gekommen. Er hatte sicher erfahren, dass ich den Umschlag abgeholt hatte. Dann aber nichts von
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