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Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)

Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica McInerney
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loswerden, was mir seit Tagen auf der Seele lag. »Ich glaub, die wollen heiraten.«
    Charlie war schlagartig ernüchtert. »Deine Mum? Mein Dad?«
    »Nein, Charlie, ich und dein Dad.« Ich hatte vor Kurzem erst gelernt, was Sarkasmus war. Diesmal lachte Charlie nicht. Ich hatte ein schlechtes Gewissen. »Ja, dein Dad und meine Mum. Ich glaub, das mit den beiden wird ernst.«
    »Das glaub ich auch.«
    Wir standen schweigend da. Das mussten wir erst einmal verdauen.
    »Wo ist deine Mum?«, fragte ich schließlich.
    »In Deutschland. Dad hat das Sorgerecht.«
    »Macht es dir was aus?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Und wo ist dein Dad?«
    »In Kanada. Mum hat mich bekommen.«
    Wir schwiegen wieder eine Weile, dann ergriff Charlie das Wort.
    »Würdet ihr hier wohnen, wenn sie heiraten?«
    Ich zuckte ebenfalls mit den Schultern. »Wahrscheinlich. Unser Haus wäre für vier zu klein.«
    »Besonders für mich«, sagte er und tätschelte sich den Bauch.
    »Charlie!« Wenn ich ihn als Dicki sah, war das okay. Er selbst durfte das nicht.
    Doch er schien sogar stolz auf seinen Bauch zu sein und tätschelte sich gleich noch einmal. »Na, willst du sehen, welches Zimmer dann deins würde?«
    »Klar.«
    Wir gingen zurück durch die Eingangshalle in einen kleinen, hellen Raum auf der Rückseite des Hauses mit Einbauregalen und einem großen Fenster.
    »Alles dein«, sagte Charlie. »Es sei denn, deine Mutter will das Zimmer.«
    »Nein. Sie würde doch im selben Zimmer wie dein Vater schlafen, oder nicht?«
    Wir sahen uns an und zogen eine Grimasse. Charlie grinste wieder. Ich hätte gern etwas wirklich Komisches gesagt, damit er sich erneut vor Lachen schüttelte, doch mir fiel so schnell nichts ein.
    Das Zimmer wurde als Abstellkammer benutzt. Überall stapelten sich Kisten. Doch vor dem Fenster stand ein Baum. Das würde sicher ein sehr schönes Zimmer, dachte ich, sagte jedoch nichts.
    »Würden wir dann auf dieselbe Schule gehen?«, fragte Charlie.
    Ich zuckte, so wie er, mit den Schultern. Außerdem wusste ich keine Antwort auf die Frage.
    »Es ist eine gute Schule«, sagte er. »Da wird es dir gefallen. Ist nur die Straße runter. Ich geh sogar manchmal zu Fuß. Aber meistens bringt mich Dad mit dem Auto hin.«
    »Hast du da die vielen Sprachen gelernt?«
    Sein Lächeln wurde breiter. »Oui« , sagte er.
    »Wie sagt man dazu?« Ich wies auf den Baum.
    »Baum«, sagte Charlie.
    »Und dazu?«
    »Fenster.«
    Als meine Mutter und sein Vater ins Zimmer kamen, brüllten wir vor Lachen.
    Jahre später gestand mir Charlie, dass er bei unserer ersten Begegnung gedacht hätte, dass ich furchtbar traurig wäre. Ich gestand ihm, dass ich gedacht hatte, dass er furchtbar dick wäre.
    »Ich war auch dick«, erwiderte er damals.
    »Ich war auch traurig«, entgegnete ich.
    Wir zogen dann tatsächlich bei Charlie und seinem Vater ein. Unsere Eltern heirateten. Das Zimmer wurde meins. Und ich ging auf dieselbe Schule wie Charlie. In jenem Jahr – es klingt beinahe seltsam, wenn man es derart deutlich und entschieden formuliert, doch es war so – war ich wirklich glücklich. Und das lag an Charlie. Denn er war nicht nur dick und ausgesprochen komisch, er war auch herzensgut. Daran hat sich nichts geändert. Ich kenne bis heute nur wenige Menschen, die so herzensgut wie Charlie sind. Wenn Gelassenheit und Herzensgüte aufeinandertreffen, ist das immer ein Segen – besonders aber, wenn es sich dabei um den neuen Stiefbruder handelt.
    Ich glaube, Mum und Walter waren froh, dass wir uns so gut vertrugen, und sie ließen uns in Ruhe, nachdem wir uns alle in unserem neuen Haus und unserem neuen Leben eingerichtet hatten. Vielleicht hätten sie sich mehr um uns gekümmert, wenn wir uns nicht so gut verstanden hätten, doch in jenem ersten Jahr waren sie so sehr mit sich und ihrer Verliebtheit beschäftigt, dass sie uns kaum zur Kenntnis nahmen. Manchmal hörte ich, was meine Mutter am Telefon mit ihren Freundinnen besprach.
    »Ich hatte keine Ahnung, dass es so was gibt. Wie konnte ich nur all die Jahre mit Richard vergeuden? Ich muss ja irre gewesen sein!«
    Ich liebte meinen Dad. Ich hätte ihn gern häufiger gesprochen. Wir telefonierten nur ein Mal im Monat, manchmal noch seltener, wenn er sehr viel reisen musste. Walter versuchte wohl, eine Art Vater für mich zu sein, doch im Grunde brauchte ich das nicht. Mum hatte keine Hemmungen, mir zu sagen, wo es langging, und wenn ich Taschengeld oder einen Rat brauchte oder mich über

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