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Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)

Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica McInerney
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Felix’ Tod hatte ich allein das Traurige und Ungerechte auf der Welt gesehen. Mich hatten nicht nur die großen Ereignisse erschüttert – Tsumanis, Erdbeben, Krieg und Aufstand –, obwohl ich Abend um Abend vor dem Fernseher darüber geweint hatte. Auch die kleinen, alltäglichen Tragödien hatten mir das Herz gebrochen. Der Anblick einsamer, alter Menschen. Obdachlose. Drogenabhängige. Kranke. Eines Tages, beim Einkaufen, hatte ich eine alte Frau beobachtet, die ihren Mann im Rollstuhl schob. Sie musste außerdem eine schwere Tüte voller Lebensmittel tragen. Ich wollte helfen. Ich hatte sogar schon einen Schritt auf sie zugemacht, dann hatte mich die Ohnmacht überwältigt. Was konnte ich schon ausrichten? Was würde diese kleine Geste schon bewirken? Wozu es überhaupt versuchen? Bei einer anderen Gelegenheit hatte ich gehört, wie eine junge Mutter auf der Straße telefonierte. Sie war alleinerziehend. Ich neidete ihr das Kind nicht. Ich wollte nur meinen Felix. Sie hatte mit dem Vater ihres Kindes gestritten, sie war so außer sich, so wütend gewesen, das Baby hatte geweint, dass ich nur die Mühsal sehen konnte, die vor ihr, vor ihnen allen lag.
    Auch jetzt kam die Trauer wieder über mich. Der fröhliche Abend verblasste, alles wurde wieder zu Schwarz-Weiß. Wieder sah ich nur die dunkle Seite. Die Sinnlosigkeit all unseres Tuns, unserer Pläne, unserer Hoffnungen. Warum mühten wir uns überhaupt, wenn uns doch in einem Augenblick, in einer Sekunde, alles genommen werden konnte …
    Stopp! Schluss mit den Gedanken. Beschäftige dich.
    Ich entschied mich, die Küchenschränke auszuwaschen. Sie waren vollkommen verdreckt. Und in der Küche standen viele Schränke, einige reichten vom Boden bis zur Decke. Manche waren so voll, dass man kaum die Türen schließen konnte. Seit meinem letzten Besuch hatte sicher niemand mehr die Schränke ausgeräumt und vor allem nicht geputzt. Das war dringend nötig. Und zwar jetzt.
    Zwei Stunden später erschien Lucas, um mir eine Gute Nacht zu wünschen. Ich war immer noch beschäftigt. Ich kniete vor dem größten Vorratsschrank und versuchte, irgendetwas Klebriges, vermutlich Sirup, von der Rückwand zu scheuern.
    Lucas sah mir eine Weile zu. »Du weißt, dass es weit nach Mitternacht ist?«
    Ich nickte.
    »Ella, die Schränke befinden sich seit drei Jahren in diesem Zustand. Ein paar Stunden halten sie es sicherlich noch aus.«
    »Ach, das geht schon, Lucas, wirklich. Ich habe einmal angefangen, dann mache ich es auch fertig.«
    Er zögerte, dann zog er sich zurück.
    Als ich ins Bett ging, war es beinahe zwei Uhr morgens.
    Drei Tage später hatte ich sämtliche Schränke geputzt, und das nicht nur in der Küche. Ich hatte das Treppengeländer der Länge nach poliert, sämtliche Teppiche ausgeschüttelt und den Kühlschrank mit Braten, Suppen und Eintöpfen gefüllt. Ich hatte die Studenten auf einem Aushang gebeten, ihre Bettwäsche vor die Tür zu legen. Ich steckte alles in die Waschmaschine und brachte ihnen frische Laken und Kissenbezüge zurück. Dann wusch ich im Erdgeschoss sämtliche Vorhänge. Und wenn ich nicht im Haus beschäftigt war, ging ich im Hyde Park oder in den Kensington Gardens spazieren. Ich beruhigte mich, sobald ich durch die Tore kam. Jedes Mal wählte ich einen anderen Weg. Ich war im Zentrum von London, doch im Park war ich umgeben von tröstlicher Natur, von Stille, Weite, Licht.
    Mit den Studenten hatte ich seit dem Dinner nicht mehr gesprochen, ich hatte selbst Lucas kaum gesehen. Ich machte mir vor, dass ich ihn nicht bei der Arbeit stören wollte. In Wahrheit aber ging ich ihm aus dem Weg. Schließlich fing er mich im Esszimmer ab. Ich kniete auf dem Boden und polierte die Kacheln rings um den Kamin.
    »Tee, Ella?«
    Ich stand sofort auf. »Natürlich. Ich setze den Kessel auf.«
    »Ist schon geschehen. Das war eine Einladung, keine Aufforderung. Bitte, setz dich zu mir.«
    Ich folgte ihm in den Gegensalon und nahm neben dem Kamin Platz. Lucas goss mir lächelnd Tee ein. »Ich mache mir Sorgen wegen deiner Putzerei. Dir ist schon bewusst, dass es der Dreck ist, der dieses Haus zusammenhält? Wenn du so weitermachst, stürzen die Wände noch vor der Renovierung ein.«
    »Du hast mich als Haushälterin engagiert.«
    »Nein, ich habe dich als Detektivin engagiert.«
    »Getarnt als deine Haushälterin. Ich arbeite an meiner Tarnung.«
    »Das tust du allerdings. Hast du eigentlich schon irgendwann das Haus verlassen? Abgesehen von

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