Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
hatte, dass aber eines Nachmittags Jess auf das Kind aufpassen sollte, jedoch lieber mit ihrem damals aktuellen Freund telefoniert hat, und dass deshalb …«
Mum fiel mir ins Wort. »Ella, bitte.«
»Soll ich vielleicht noch vor der Kamera weinen? Wäre das gut für deine Einschaltquoten?«
Nun mischte sich Walter ein. »Ella, deine Mutter denkt doch nur an dich, sie will dir doch nur helfen.«
»Meine Mutter denkt an ihre Sendung und an Jess, Walter, nicht an mich.«
»Ella, bitte.« Wieder Mum. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Darling, bitte. Ich habe Felix auch geliebt. Er war mein Enkel. Du bist nicht die Einzige, die …«
Ich bekam ein schlechtes Gewissen. Ich entschuldigte mich. Doch die Sache war noch längst nicht ausgestanden. Walter sah zu meiner Mutter, legte eine Hand auf ihren Arm und wandte sich dann wieder an mich, die Stimme noch gedämpfter.
»Ella, es tut mir leid, das ist vielleicht nicht der beste Zeitpunkt, aber wir haben noch eine Bitte an dich. Die PR-Abteilung des Senders ist auf uns zugekommen. Die Referentin hat dir damals Blumen geschickt, als … als das passiert ist.«
Wir hatten mehr als vierzig Kränze und Sträuße erhalten. Ich hatte sämtliche Karten gelesen, aber inzwischen wusste ich nicht mehr, von wem was gekommen war.
Walter fuhr fort. »Die Frage war, ob Meredith damit an die Öffentlichkeit gehen würde. Es wäre ein Exklusivinterview. Im Rahmen des populärsten Nachrichtenmagazins des Landes.«
Mum meldete sich wieder zu Wort, noch immer unter Tränen. »Sie haben mir versichert, dass sich so viele Frauen damit identifizieren könnten, Ella. Und dass ich zeigen könnte, dass man selbst als Berühmtheit nicht gegen schrecklichen Kummer gefeit ist, es nach einer Familientragödie wie unserer aber immer irgendwie weitergeht, solange man …«
Sie redete und redete, doch ich hörte nicht mehr zu. Ich konnte nicht fassen, dass man sie gebeten hatte, aus Felix’ Tod Kapital für eine alberne Kochshow zu schlagen.
Irgendwann unterbrach ich sie. Es fiel mir schwer, ruhig zu bleiben. »Nein, Mum, das sehe ich nicht. Würdet ihr mich jetzt bitte entschuldigen? Hier herrscht gleich Hochbetrieb.« Ich stand auf.
Mum versuchte es noch einmal. »Ella, bitte, geh noch nicht. Lass uns dir helfen. Verschließ dich nicht auch noch vor uns.«
»Auch noch?«
Walter und Mum wechselten wieder einen Blick.
Mum legte eine Hand auf meinen Arm. »Wir haben gestern Abend mit Aidan gesprochen. Und dabei erfahren, dass du noch immer nicht auf seine Anrufe oder E-Mails reagierst. Darling, bitte rede mit ihm. In einer solchen Zeit muss eine Familie zusammenrücken. Das gemeinsam durchstehen und sich helfen und sich nicht noch mehr verletzen.«
»Stammt dieser Satz von dir oder der PR-Abteilung?«
Walter schnappte nach Luft. Ich verabschiedete mich, ging in die Küche und wartete, bis sie fort waren. Ich arbeitete meine Schicht ab, dachte mir zusätzliche Tätigkeiten aus, damit ich noch eine Stunde bleiben konnte, dann ging ich nach Hause. Erst dort, erst als ich in meinem Zimmer war, die Fenster geschlossen und die Musik laut aufgedreht hatte, begann ich hemmungslos zu weinen.
Ich weinte um Felix. Aber auch um mich. Ich weinte um das Ich, das gemeinsam mit Felix gestorben war. Was ich zu Mum und Walter gesagt hatte, war schrecklich. Oh, ich fühlte mich mit meiner Wut vollkommen im Recht. Was sie versucht hatten, war so ungeschickt, so taktlos. Aber tief in meinem Herzen verstand ich schon, worum es ihnen wirklich ging. Sie wollten die Verbindung zu mir aufrechterhalten. Mir helfen, nach vorn zu schauen, und das auf die einzige Art, die ihnen möglich war. Es tat mir nicht leid, dass ich Nein gesagt hatte. Aber wie ich das getan hatte, das gefiel mir ganz und gar nicht. Das war nicht ich. Ich sagte nicht derart verletzende Dinge, ließ es an anderen aus, ließ andere sitzen, oder? Das entsprach mir gar nicht. Sicher, ja, Jess hatte mich schon immer verrückt gemacht, Mum mich auf die Palme gebracht, und Walter, tja, Walter war eben Walter, aber früher hatte ich darüber lachen können, oder nicht? Mit Charlie darüber gescherzt? Mich von Aidan deswegen necken lassen?
In letzter Zeit aber war mir, als stünde ich neben mir, als kämen solche Grausamkeiten von allein aus meinem Mund. Als läge es außerhalb meiner Kontrolle.
Am nächsten Tag rief Mum an. Sie entschuldigte sich. Ich hörte zu und presste die Fingernägel in die Handflächen. Ich murmelte, schon in Ordnung,
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