Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
eine Frau mit ihrem Personal Trainer, Stoppuhr und amerikanischer Akzent, ihre Dehnübungen. Ich ging an anderen Spaziergängern vorüber, die Hunde in allen Größen, Formen, Rassen und Farben ausführten. Es war wie eine Hundeschau auf Reisen. Eine junge Frau führte fünf kleine Hunde an der Leine und verfing sich in dem Gewirr. Die Hunde bellten und sprangen umher. »Heilige Scheiße!«, sagte sie, als sie beinahe über einen Hund gestolpert wäre. Und lachte.
»Heilige Scheiße!«
Aidan und ich waren fassungslos gewesen, als ich so schnell schwanger wurde. Ich hatte nach der Hochzeit die Pille abgesetzt, doch wir hatten gedacht, es würde Monate, Jahre dauern. Wir hatten uns wieder auf unsere Arbeit konzentriert, Aidan auf das Übersetzen, ich das Redigieren. Als ich vier Monate nach unserer Hochzeit unter Übelkeit gelitten hatte, hatte ich einen Test gemacht.
Noch am Abend hatte ich es Aidan gesagt.
»Schon?«
»Schon.«
»Heilige Scheiße«, hatte er gesagt. »Heilige Scheiße. Heilige Scheiße!«
»Das ist gut, oder?«
»Das ist verdammt gut. Das ist verdammt großartig. Heilige Scheiße!«
Das Komische war, dass Aidan niemals fluchte. Die Sprache war sein Metier. Er hatte seine Gedanken immer nur in schöne Worte gekleidet. Doch bei der Nachricht, dass er Vater wurde, konnte er nur fluchen. Ich hatte an dem Abend unentwegt gelacht.
»Ella?«
Ich sah auf. Lucas war an meine Seite getreten. Ich hatte ihn nicht gehört. Es war seine Spaziergeh-Stunde.
»Alles in Ordnung?«
»Aber ja.« Er sah besorgt aus. »Wieso?«
»Du hast vor dich hin gelacht.« Er lächelte mich an. »Also bitte, Ella, ein wenig Contenance.«
Sein Anblick tat so gut. Ich hakte mich bei ihm ein, gemeinsam gingen wir zurück zu den italienischen Gärten und setzten uns auf eine Bank. Die Wolken hatten sich verzogen, eine fahle Sonne beschien die steinernen Einfassungen des Brunnens und ließ das sprudelnde Wasser funkeln. Dahinter glänzte das bronzene Denkmal für Edward Jenner. Nicht weit davon entfernt stand eine weitere berühmte Statue. Eine Skulptur von Peter Pan. Lucas hatte mir sehr früh in einem Fax alle Verblüffenden Fakten dazu berichtet. Das Wissen, dass die Statue heimlich aufgestellt worden war, mitten in der Nacht, als Geschenk von J. M. Barrie an die Kinder Londons, hatte mich gefesselt. Ich fand es nicht minder aufregend, dass der Autor von Peter Pan ganz in der Nähe meines Onkels gelebt hatte. Lucas hatte mir ein Foto von dem Haus mit der blauen Gedenktafel, die Nummer 100 auf der Bayswater Road, geschickt. Er hatte mir auch nicht nur Peter Pan , sondern sämtliche Bücher von J. M. Barrie gesandt.
Später hatte ich die wahre Geschichte hinter dem Buch erfahren. Sie hatte mich zu Tränen gerührt. Die Gestalt von Peter war durch Barries älteren Bruder David inspiriert, der einen Tag vor seinem vierzehnten Geburtstag beim Eislaufen ums Leben gekommen war. Seine Mutter hatte das nie verwunden. Der damals erst sechsjährige James hatte sie unbedingt trösten wollen, sich wie David gekleidet und gelernt, wie er zu pfeifen. Doch sie hatte niemals aufgehört, um ihren ersten Sohn zu trauern. Der Junge, der nicht erwachsen werden wollte. So stand es auch auf der Tafel am Sockel der Statue.
»Sollen wir zurückgehen?« Ich stand auf.
»Lass uns noch ein wenig bleiben, Ella.«
Ich wusste, dass er wieder über Aidan sprechen wollte.
»Ella, bitte, setz dich.«
Nach einer Weile gehorchte ich.
Schweigend schauten wir auf das Wasser.
Schließlich ergriff Lucas das Wort. »Ella, du bist meine Nichte, und Blutsbande sind stark, doch Aidan ist immer noch mein Freund. Ich werde mich weiter um ihn sorgen, auch wenn du das nicht gern siehst.«
»Ich kann über ihn nicht sprechen.«
»Das musst du auch gar nicht. Aber ich will, dass du mir zuhörst.«
Ich konzentrierte mich auf die Tropfen einer der Fontänen.
»Ich hatte dir gesagt, dass er auf dem Weg nach Irland, zu seinen Eltern, bei mir übernachtet hatte.«
Aidans Eltern. In den vergangenen zwanzig Monaten hatte ich kaum an sie gedacht. Unser Verhältnis war immer distanziert geblieben, räumlich und emotional. Aber natürlich hatten auch sie ihren Enkel verloren. Hatte ich seither mit ihnen gesprochen? Ich konnte mich nicht erinnern.
»Seine Mutter war sehr krank. Sie hatte eine schwere Operation – am Herzen, meine ich. Sie ist schwach, aber auf dem Weg der Besserung.«
Lucas gab Antworten auf Fragen, die ich nicht stellte.
»Aidan hatte einen
Weitere Kostenlose Bücher