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Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)

Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica McInerney
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lange wollen Sie diesmal bleiben?«
    »Ich weiß noch nicht.«
    Sie nickte nur.
    Eine weitere Minute verging in Schweigen, nur mein Schneiden und Hacken drangen durch die Küche.
    »Das mit Ihrem Sohn tut mir leid.«
    Mir fiel das Messer aus der Hand.
    »Lucas hat es mir erzählt. Das war sicher eine schwierige Zeit für Sie.«
    Es waren mitfühlende Worte, doch Henrietta musterte mich mit einer Konzentration und klinischen Kälte, als hätte sie ein wissenschaftliches Objekt vor Augen.
    »Ja, das war es. Ist es noch.«
    »Wie furchtbar für Ihre Schwester. Sie muss eine entsetzliche Last tragen.«
    Ich erwiderte nichts.
    »Sie und Ihr Mann haben sich getrennt, wie ich hörte.«
    »Ja«, sagte ich und war dankbar, dass ich mich auf das Gemüseschneiden konzentrieren musste.
    »Ich hatte zwei Fehlgeburten. Ich weiß, wie Sie sich fühlen.«
    Mich durchfuhr es heiß und kalt. Es war die reine Wut. Ich zwang mich zur Ruhe, doch etwas erwidern musste ich. »Es tut mir leid, Henrietta. Eine Fehlgeburt ist traurig, doch das kann man nicht vergleichen. Felix war beinahe zwei Jahre alt.«
    Sie zuckte mit den Schultern. Sie zuckte mit den Schultern !
    »Natürlich bin ich mir des Unterschieds bewusst, Ella, aber Trauer ist Trauer. Vernichtete Hoffnungen. Zerstörte Pläne. Ich hatte mir für die beiden Kinder, die ich verloren habe, vieles erhofft und erträumt. So wie Sie für Ihr Kind. Wie war sein Name?«
    Am liebsten hätte ich ihr das Messer entgegengeschleudert. Sie angeschrien: »Sein Name geht Sie überhaupt nichts an, Sie widerliche, ehebrecherische …« Ich riss mich zusammen. »Sein Namen war Felix. Felix Lucas Fox O’Hanlon.«
    »Und nach dem Tod von Felix haben Sie und Ihr Mann sich wann getrennt?«
    Ich legte das Messer ab, sehr behutsam. »Darüber möchte ich nicht sprechen, Henrietta.«
    »Es kommt sicher zu relativ vielen Trennungen in Folge einer traumatischen Belastung. Was verständlich ist. Jeder durchlebt die Phasen der Trauer auf verschiedene Weise und zu verschiedenen Zeiten. Das muss, gerade in einem Fall wie Ihrem, zu enormem Stress führen. Elisabeth Kübler-Ross hat im Rahmen ihrer Trauerforschung fünf Phasen der Trauer identifiziert. Von ihr stammt die These …«
    Henrietta hielt mir eine Vorlesung. Sie sprach zu mir, als ob mir Trauer völlig fremd wäre. Dabei gab es nichts, was ich nicht wusste. Natürlich kannte ich Elisabeth Kübler-Ross. Ich hatte alle ihre Bücher gelesen. Ich hätte selbst einen Vortrag über ihre Theorien halten können. Aber Henrietta bemerkte meine Reaktion nicht. Sie redete unbeirrt weiter.
    »Haben Sie es mit einer Therapie versucht? Die kognitive Verhaltenstherapie ist in Australien doch ziemlich populär, oder nicht? Aber vielleicht gelten in solchen Situationen ja doch die alten Weisheiten. Wie meine Großmutter immer gesagt hat, die Zeit heilt alle Wunden. Wie lang ist es her? Drei Jahre?«
    Sie mochte Lucas’ große Liebe sein, sein intellektueller Gegenpart, doch in dem Moment empfand ich Hass für sie. Ich verwünschte sie. Sie beobachtete mich noch immer, als hätte sie ein sonderbares Insekt unter dem Mikroskop. Sie wartete auf eine Antwort.
    Ich gab sie ihr, nur Lucas zuliebe. »Beinahe zwanzig Monate.«
    Das Datum war nur noch wenige Tage entfernt. Es war für mich zu einer bedeutenden Zeitgrenze geworden. Bald wäre Felix genauso lang tot, wie er gelebt hatte.
    Henrietta nickte. »Also beinahe zwei Jahre. Sie wirken immer noch sehr zornig. Welche Phase ist das, die erste oder die zweite?«
    Ich sah nach unten. Meine Hände waren zu Fäusten geballt. Ich antwortete Henrietta mit kalter Stimme, in scharfen Worten. »Mein Sohn ist gestorben, Henrietta. Der Sohn, den ich neun Monate unter meinem Herzen getragen habe. Der Sohn, den ich geboren habe.« Ich wollte sie verletzen. Er loderte auf, der Zorn, und dabei hatte ich geglaubt, ich hätte diese rohen Emotionen längst im Griff. »Ich habe ihn über ein Jahr lang gestillt. Ich bin unzählige Nächte wach geblieben, wenn er nicht schlafen konnte. Ich habe ihn gebadet, ihn angezogen, fast jede Stunde des Tages mit ihm verbracht, und das fünfhundertundfünfzig Tage lang. Bis mein Mann, meine Halbschwester …« Ich brach ab. Ich musste Atem schöpfen. »Also, ja, Henrietta, ja, ich bin noch in der Phase des Zorns.«
    Ich wandte mich wieder meinem Salat zu und zerhackte eilig den Sellerie. Ich spürte, dass Henrietta mich nach wie vor beobachtete. Mich studierte.
    »Es trifft zu, oder?«, sagte sie.

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