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Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)

Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica McInerney
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»Trauer ist das ichbezogenste Gefühl von allen.«
    Ich ignorierte sie. Sie merkte es nicht. Sie redete weiter. Zu mir, nicht mit mir.
    »Ichbezogen im eigentlichen Wortsinn. Es betrifft allein das Ich. Denn es ist ein einseitiges Gefühl. Nur man selbst kann die Person betrauern, die gestorben ist. Die Person kann nichts empfinden. Sie haben es eben selbst gesagt, es geht nur um Sie. ›Ich habe dies mit meinem Sohn getan, ich habe jenes mit ihm getan.‹ Sie brauchen das Gefühl, dass Ihr Schmerz größer ist, größer als der eines jeden anderen. Größer als der Ihres Manns, als Lucas’. Größer als der Ihrer Schwester. Sie müssen das Gefühl haben, dass kein Mensch jemals so gelitten hat wie Sie, damit es irgendwie erträglich wird.«
    Ich schleuderte das Messer von mir fort. Es schlitterte quer über den Tisch. Lucas’ Gefühle für Henrietta waren mir egal. »Mein Sohn ist tot, Henrietta. Mein Baby. Ich war Mutter, und mein Kind ist tot. Was erwarten Sie? Soll ich es mit einem Schulterzucken abtun, nach dem Motto: War schön, doch nun ist es vorbei?«
    »Etwas derart Simplizistisches schlage ich nicht vor. Das ist eine Überreaktion. Ich will nur sagen, dass …«
    Die Haustür ging auf. Lucas.
    »Henrietta!« Er küsste sie auf die Wange. »Ich hoffe, Ella hat dich gut versorgt? Sie macht dir deine Lieblingslasagne, hat sie dir das schon verraten?«
    Ich konnte nicht bleiben. Nicht eine Sekunde länger. Ich entschuldigte mich bei Lucas und verließ das Haus. Zu Henrietta sagte ich nichts.
    Ich kam nach elf zurück. Ich war zum Marble Arch gegangen und hatte mir dort in einem Kino zwei Filme in Folge angeschaut. Gesehen hatte ich sie kaum. Henriettas Worte hatten mich verfolgt, hatten die Dialoge auf der Leinwand übertönt. Ichbezogen. Ichbezogen.
    Das Haus war still, Wohnzimmer und Küche lagen im Dunkel. Ich machte das Licht an. Der Tisch war abgeräumt. Das Geschirr gespült. Auf dem Herd stand ein Teller. Ich hob den Deckel an. Die halbe Lasagne. Ich stellte sie in den Kühlschrank. Dort stand bereits der restliche Salat, unter Frischhaltefolie. Das war sicher Henriettas Werk. Lucas kam auf solche Ideen nicht. Die Studenten auch nicht. Ich war versucht, alles in den Müll zu werfen.
    Auf meinem Weg ins Bett schreckte mich eine Stimme auf.
    »Wir haben dir etwas übrig gelassen, falls du Hunger hast.« Lucas.
    »Ich habe keinen Hunger, Lucas, danke.«
    »Komm und trink noch einen Schluck mit mir.«
    Ich zögerte. »Nein, danke.«
    »Henrietta ist nach Hause gegangen. Bitte, Ella.«
    Ich folgte ihm in den Gegensalon. Das Zimmer war beinahe dunkel, nur eine Stehlampe leuchtete, und der Kamin flackerte. Im Hintergrund lief Musik, etwas Klassisches. Lucas schenkte sich einen Whisky ein und reichte mir ein Glas Wasser.
    »Warum trinkst du nichts mehr, Ella?«
    »Es bekommt mir nicht.«
    »Warst du auf dem Weg in die Abhängigkeit?«
    Henriettas Unverblümtheit hatte offensichtlich auf ihn abgefärbt.
    Meine Reaktion entging ihm nicht. »Du musst darauf nicht antworten. Das geht mich ja nichts an. Ich vermisse nur jemanden, mit dem ich einen Verdauungs-Whisky teilen kann.«
    Eine Erinnerung blitzte auf – Lucas und Aidan, die hier mit einem Whisky saßen und versuchten, sich mit Zitaten berühmter Dichter zu übertrumpfen. Oder waren es Texte von Bob Dylan?
    »Ich soll dir von Henrietta ausrichten, dass die Lasagne köstlich war. Eigentlich hat sie nur zu mir gesagt, dass das Essen köstlich war, aber sie hätte sicher nichts dagegen, dass ich das Kompliment weitergebe.«
    »Lucas, es tut mir leid. Ich hoffe, Henrietta ist nicht meinetwegen so früh aufgebrochen. Wir hatten einen …« Einen Streit? »Einen Wortwechsel.«
    »Das hat sie erwähnt. Mach dir keine Sorgen, du hast sie sicher nicht verletzt. Henrietta hat ein ziemlich dickes Fell«, sagte er vergnügt.
    Ich starrte ihn an. Sie verletzt?
    »Setz dich, Ella, bitte. Du machst mich nervös, wenn du da herumstehst. Ich will dir ein Update geben. Ich habe mit Henrietta über die Situation gesprochen.« Lucas bemerkte meine Verwirrung. »Über die Diebstähle. Nächste Woche wird Henrietta wieder zu meinen Klienten gehen. Sie führt in meinem Auftrag regelmäßige Gespräche mit den Schülern, für die formellen Beurteilungen. Ich möchte, dass du sie dabei begleitest.«
    »Ich?«
    »Es wäre sicher hilfreich, wenn du die Häuser von innen siehst. Dann kannst du selbst abschätzen, wie leicht es wäre, dort zu stehlen.«
    »Kann ich nicht mit den

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