Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
genützt, denn im Laufe der Woche ist es nur noch schlimmer geworden, und jetzt weiß ich überhaupt nicht mehr, was ich tun soll. Meine Therapeutin hat mir in solchen Situationen immer geraten, meine Gefühle einzeln zu betrachten, zu benennen und zu versuchen, sie auf diese Weise zu beherrschen. Also, im Moment spüre ich: WUT, ANGST, ZORN, ENTTÄUSCHUNG.
Aber von vorn. Meine erste Audition. KATASTROPHAL . Es gibt kein anderes Wort dafür. Wenn ich nicht jedes Jahr Klassenbeste gewesen wäre und meine Tanz- und Gesangslehrer mich nicht in den höchsten Tönen gelobt hätten, hätte ich jetzt ernsthafte Zweifel an mir und meinen Fähigkeiten. Die Leute bei der Audition hätten nicht grässlicher sein können. Die Hexen und Teufel der Musicalwelt. Falls ich je berühmt werde – WENN ich berühmt werde – werden die es SEHR bereuen, dass die so gemein zu mir waren, denn diese Namen merke ich mir, und niemals werde ich in irgendeiner Show auftreten, mit der diese Leute irgendwas zu tun haben. Auch wenn sie auf den Knien vor mir rutschen und mir eine Million Pfund bieten.
Aber das war so: Ich hatte mir sämtliche Webseiten angesehen, die einschlägigen Magazine besorgt und alle offenen Castings notiert. Da sich von den Agenturen, denen ich vorher gemailt hatte, keine gemeldet hatte, hatte ich mich entschieden, mich bis dahin zu beschäftigen. Außerdem habe ich gedacht, es würde sicher leichter, einen Agenten zu finden, wenn ich schon ein Rollenangebot hätte, da das nicht nur für mein Talent, sondern auch für mein Engagement sprechen würde. An besagtem Tag sollten drei Auditions stattfinden, und ich hatte mir überlegt, dass ich gleich früh zu der ersten gehen wollte, denn vielleicht käme ich schnell dran, und dann hätte ich es auch noch zu den beiden anderen geschafft.
Ich hatte meinen neuen Freund Ben um Rat gefragt. Ben arbeitet hier im Hotel als Portier. Er bringt mir jeden Tag das Essen aufs Zimmer, und wir haben uns dabei immer so toll unterhalten – aber ich gebe ihm auch ein großzügiges Trinkgeld! Er will Schauspieler werden. Wie fast alle Angestellten hier, soweit ich sehen kann. Das liegt ja auch nahe, weil das hier ein Künstlerhotel ist, und so wissen die Mitarbeiter, ohne groß nachzudenken, was für Wünsche Stars und Leute wie ich – künftige Stars! – haben. Jedenfalls bin ich nach unten gegangen und habe Ben die Anzeigen von den Auditions gezeigt, aber Ben hat gesagt, dass er noch nie in einem Musical mitgemacht hätte, sein Ding wäre mehr die ernsthafte Schauspielerei (!!!), aber er würde einen Freund anrufen.
Da habe ich die Ohren gespitzt. Vielleicht, so habe ich gedacht, kann mir dieser Freund ja helfen, aber leider stellt sich heraus, dass Bens Freund Beleuchter und kein Darsteller ist, also nicht wirklich nützlich für mich. Trotzdem konnte er mir sagen, welche der drei Shows in der Branche für Aufsehen sorgen wird, und das hat mir die Entscheidung, zu welcher Audition ich als Erstes gehen soll, leichter gemacht. Ich wäre dann wohl besser in mein Zimmer zurückgegangen und hätte ein bisschen recherchiert, aber Ben hatte Feierabend und wollte mit ein paar Freunden etwas trinken gehen und hat gefragt, ob ich nicht mitkommen will.
Wenn ich ehrlich bin, habe ich mich auf meinem Zimmer schon ein bisschen allein gefühlt, und darum habe ich Ja gesagt. Ich mag auch eigentlich keinen Alkohol, aber allein mit drei fremden Männern, das war so toll auch nicht, und darum habe ich doch zwei Wodka Tonic getrunken, ziemlich schnell hintereinander. Ich habe beide fast auf Ex getrunken. Der erste Fehler. Oder besser gesagt, die ersten Fehler. Die Jungs haben auch ziemlich schnell getrunken und sind dann, offen gestanden, ziemlich albern geworden – das war fast schon pubertär, so wie sie darüber gelacht haben, dass ich aus Australien stamme. Dann habe ich gesagt: »Wenn ich singe, habe ich überhaupt keinen Akzent, und Kylie hat den auch nicht, und außerdem, was ist mit Cate Blanchett? Muss sie sich anhören, dass sie aus Australien kommt?« Und einer von den Jungs, Zach, ein Schulfreund von Ben, hat dann gesagt, nein, aber Cate Blanchett klingt ja auch nicht wie ein Dingowelpe, so wie du. Ich klinge absolut NICHT wie ein Dingowelpe, aber ich bin mir trotzdem ziemlich blöd vorgekommen und habe mich ruhig gehalten, doch das war denen völlig egal. Dann habe ich vor lauter Langeweile noch zwei Wodka getrunken, und mir ist ein bisschen übel und schwindelig geworden, aber zum
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