Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
Lucas ist mir das noch nie passiert.«
So genau hatte ich es nicht wissen wollen. »Aber wenn Sie und Lucas seelenverwandt sind …«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»So beschreibt er es.«
»Ja, ich weiß.«
Sie sagte das so selbstbewusst. Wie es wohl war, so viel Macht über einen anderen Menschen zu haben und sich dessen bewusst zu sein? In dem Moment ging mir auf, dass auch ich dieses Gefühl kannte. Aidan hatte eine solche Macht über mich gehabt. Und ich über ihn. Wer liebte, legte sein Glück in die Hände eines anderen.
Der Kellner kam mit dem Wein. Während er die Flasche entkorkte, schwiegen wir. Henrietta probierte, dann füllte er ihr Glas zur Hälfte. Als der Kellner fort war, füllte Henrietta es bis oben hin, trank einen Schluck und sah mich wieder lang und durchdringend an.
»Sie sind ganz und gar romantisch, Ella, das sehe ich. Ich bin eher pragmatisch veranlagt. Als ich Lucas an der Uni kennengelernt habe, hatte er nichts. Ich habe an die Zukunft gedacht. Ich wusste damals schon, was ich heute weiß. Mit Luft und Liebe zahlt man keine Rechnungen.«
»Und dass ihm sein Patenonkel das Haus hinterlassen hat, hat daran nichts geändert?«
»Das ist kein Haus. Das ist eine lebenslange Gefängnisstrafe. Für Lucas war es keine Option, dem Wunsch seines Patenonkels nicht zu entsprechen und sich nicht für die weniger Begünstigten einzusetzen. Nur Wochen, nachdem Lucas das Haus in Besitz genommen hatte, wimmelte es dort von Studenten. Mit ihm in diesem Haus zu leben war wirklich das Letzte, was ich gewollt hätte. Nach dem Studium hatte ich genug von Mitbewohnern. Ich hatte ständig Streit mit Lucas.«
»Wegen der Studenten?«
»Es gab so viele Gründe. Die Studenten. Der Dreck. Das Chaos. Seine groteske Selbstlosigkeit. Ein Haus voller Zimmer, und wo hat er geschlafen? Unter dem Dach. Dort kann man kaum aufrecht stehen. Das war die einzige Schlacht, die ich gewonnen habe, und auch nur, weil ich mich geweigert habe, diesen Raum zu betreten. Trotzdem hat es Jahre gedauert, bis er nach unten gezogen ist.«
Ich hatte also richtig vermutet. Henrietta war der Grund für Lucas’ Umzug in ein »richtiges« Schlafzimmer.
Die Vorspeisen kamen. Wir wandten uns allgemeineren Themen zu. Henrietta erzählte von einem Theaterstück, das sie kürzlich gesehen hatte. Ich von den Stadtführungen, an denen ich schon teilgenommen hatte. Im Anschluss an meine Tour durch Mayfair hatte ich das London von Charles Dickens und von Jack The Ripper gesehen und war in den Fußstapfen von Sherlock Holmes gewandelt. Während des Hauptgangs erzählte mir Henrietta ausführlich von ihrer eigenen Forschung. War das die Retourkutsche für meine langwierige Schilderung von Mums Erfolgsgeschichte? Henrietta hatte sich auf viktorianische Literatur spezialisiert. Auch daraus wurde eine Vorlesung, doch ich schwieg gern, nickte im richtigen Moment und war ausgesprochen erleichtert, dass sie mich nicht befragte. Ich sah verstohlen auf die Uhr. Schon zwei Stunden. Bald könnte ich nach Hause gehen.
Als das Dessert beendet war, legte Henrietta ihren Löffel mit entschiedener Geste ab.
»Ella, dieses Dinner kommt mir sehr zupass. Ich wollte Sie ohnehin vertraulich sprechen. Es geht um Lucas. Um Lucas und das Haus. Ich brauche Ihre Hilfe in einer delikaten Angelegenheit.«
Sie sprach ein wenig undeutlich. Sie hatte im Laufe des Abends viel getrunken. »Sie meinen die Diebstähle?«
»Ach, vergessen Sie’s.« Sie machte eine wegwerfende Geste. »Ich verstehe sowieso nicht, weshalb sich Lucas deswegen solche Sorgen macht. Das sind doch bloß Kinkerlitzchen, das können die vermeintlich Bestohlenen mühelos verschmerzen. Sie kommen bei der nächsten Beurteilungsrunde mit, oder? Dann sehen Sie ja selbst. Die meisten haben mehr Geld als Verstand oder Geschmack.«
»Aber wenn sich das herumspricht, könnte das nicht nur das Aus für sein Nachhilfeprojekt bedeuten, sondern auch für seine Umbaupläne. Dann müsste er womöglich das Haus verkaufen, um über die Runden zu kommen.«
»Genau!«, sagte sie. »Und je eher, desto besser.«
»Desto besser?«
Wieder unterbrach uns der Kellner, diesmal mit der Frage, ob wir Kaffee wollten. Henrietta wartete, bis er ging, dann beugte sie sich vor.
»Ella, lassen Sie es mich ohne Umschweife sagen. Ich will , dass Lucas dieses Haus verkauft. Und zwar so bald wie möglich, damit wir nach Frankreich gehen und dort von dem Erlös leben können.« Sie lehnte sich zurück, mit einer seltsam
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