Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
in Fulham, ein dreigeschossiges Gebäude inmitten einer gewundenen Straße mit einem umzäunten Park. Selbst jetzt im Winter waren die Bäume üppig grün. Bevor wir das Haus betraten, fasste Henrietta in ihre große Ledertasche und zog einen Ordner zurate. »Die Schülerin heißt Antoinette. Sie ist zehn Jahre alt und wird in Französisch, Algebra und Altertumskunde gefördert.«
Hier war die antike Seekarte verschwunden.
Eine Haushälterin öffnete uns. Eine zweite Angestellte führte uns zwei Stockwerke nach oben, in einen luxuriösen Wohnraum, der zum Lernen und Arbeiten genutzt wurde. Der Raum war so groß wie unser gesamtes ehemaliges Apartment in Canberra. Neben einem Schreibtisch, einem Computer und Aktenschrank standen dort zwei große Sofas und ein Beistelltisch. An den Wänden hingen zahlreiche Gemälde, Landschaften, Porträts und Ungegenständliches. Zwei große Fenster gaben den Blick auf den Park frei. An der Umzäunung hing ein Schild. Ich konnte es gerade noch entziffern: Fahrradfahren und Ballspielen verboten .
Dann erklangen sanfte Schritte, und Antoinette erschien. Für eine Zehnjährige war sie zierlich; sie war modisch gekleidet, mit einem roten Pullover und passendem Cordrock zu glänzend schwarzen Stiefeln, das dunkle Haar zu einem wippenden Pferdeschwanz gebunden. Sie hatte sehr wache Augen. Hinter ihr folgte die Mutter, ebenfalls teuer in Wolle, Kaschmir und hohen Stiefeln gewandet, mit glänzendem Haar und nicht ganz so wachen Augen.
Henrietta stellte mich als Lucas’ Nichte und ihre Assistentin vor. Man nahm mich kaum zur Kenntnis. Sofort entspann sich eine Diskussion über Antoinettes jüngstes Prüfungsergebnis. Ich lauschte, doch vor allem schaute ich. Auf den Schmuck der Mutter. An fast jedem Finger war ein Ring. Acht imponierende Diamantringe funkelten dort. Und am Hals ein Smaragdkollier. Sie roch auch ungewöhnlich, nach Lilien, Zitrusduft und einem anderen, ganz erstaunlichen Aroma. Vermutlich Reichtum.
Henrietta war präzise und förmlich. Nachdem wir auf den Sofas Platz genommen hatten, unterzog sie Mutter und Tochter einem Kreuzverhör. Antoinette war eine ausgezeichnete Schülerin, sie erzielte bei allen Klassenarbeiten und Prüfungen Bestnoten. In letzter Zeit hatte sie wohl etwas Mühe gehabt, dem Algebra-Unterricht zu folgen, doch Mark hatte ihr angeblich sehr geholfen.
Henrietta wandte sich an mich. »Ella, irgendwelche Fragen?«
Ich war in Verlegenheit. »Wie geht es dir, Antoinette?«
»Gut, danke sehr.« Ihre Stimme war hell und klar wie eine Glocke.
Ich musste mir bessere Fragen einfallen lassen. »Lernst du hier in diesem Zimmer? Und verbringen deine Lehrer hier die Pause?«
Antoinette und ihre Mutter runzelten zeitgleich die Stirn. »Warum wollen Sie das wissen?«, fragte Antoinettes Mutter.
»Wir aktualisieren unsere Versicherungspolice«, sagte Henrietta. »Und dafür müssen wir präzise angeben, in welchen Räumlichkeiten sich die Nachhilfelehrer aufhalten.«
Ich sandte ihr einen stummen Dank.
In der Regel fand der Unterricht in diesem Zimmer statt, erklärten Antoinette und ihre Mutter. Die Pausen ebenfalls, manchmal aber auch in der Küche.
»Ich habe Peggy einmal mein Zimmer gezeigt«, fügte Antoinette hinzu. »Und sie hat gesagt, dass sie noch niemals so ein schönes Zimmer gesehen hätte, bei mir sehe es wie bei einer Prinzessin aus. Möchten Sie es sich auch anschauen?«
»Gehen Sie ruhig, Ella«, sagte Henrietta, wandte sich der Mutter zu und öffnete wieder ihren Ordner.
Ich folgte Antoinette über eine weitere Treppe. Fern von ihrer Mutter und Henrietta war sie sehr gesprächig. »Sind Sie auch Nachhilfelehrerin, Ella? Ich will später, wenn ich einmal groß bin, auch Nachhilfeunterricht geben. Meine Nachhilfelehrer wissen alles. Mark sagt, das kommt daher, dass sie so viel lesen. Und darum soll ich, meint er, mindestens zwei Bücher in der Woche lesen.«
Nein, sagte ich, ich sei keine Nachhilfelehrerin, würde aber gleichfalls sehr gern lesen. »Deine Nachhilfelehrer sind doch hoffentlich nett zu dir. Oder nicht?«
»Doch, sehr sogar«, erwiderte sie. Peggy, so erzählte Antoinette, mochte sie am liebsten, gefolgt von Mark und Darin. »Peggy klingt so lustig, wenn sie redet. Das mag ich. Sie hat mir erzählt, dass sie aus einem fernen Land kommt.«
Aus einem fernen Land mit Namen Newcastle.
»Ist Ihr Name die Abkürzung für Cinderella?«, fragte sie, als wir die letzten Stufen emporstiegen.
»Nicht ganz. Für Arabella. Aber ich
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