Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)
Winterbournes tauchen auf und werfen sie ins Gefängnis; sie wird gezwungen, Percy zu heiraten; Xavier stirbt während der langen Überfahrt am Fieber.
An diesem Nachmittag jedoch ist sie weder mit Lesen noch Nachdenken beschäftigt. Sie steht auf der oberen Plattform und betrachtet die Welt von hier oben: Meile um Meile weißer Sand, der grüne Küstenwald und der funkelnde, blaugrüne Ozean. Der Wind weht heftig, verknotet ihr Haar und raubt ihr den Atem, doch es ist so erhebend, hier zu stehen. Als wäre sie ein Teil der Natur, ein Vogel vielleicht. Sie breitet im warmen Sonnenschein die Arme aus und lässt den Wind über sich hinwegdonnern.
Irgendwann wird es zu viel, und sie sucht sich eine geschützte Stelle auf der anderen Seite des Leuchtturms. Jetzt schaut sie auf den Strand hinunter und bemerkt zwei Gestalten im Sand, eine große und eine kleine. Sie erinnert sich an ihre Strandbesuche mit Xavier, seine niedliche Hand in ihrer. Sie spürt, wie sich eine Falte zwischen ihre Augenbrauen gräbt. Vielleicht ist das da unten Xavier. Mit Katarina? Nein, Katarina würde sich dem Strand nie auch nur nähern.
Ein neues Kindermädchen? Schon?
Isabellas Herz wird heiß. Wenn das neue Kindermädchen nun freundlich und sanft ist? Wenn er sie bald genauso liebt, wie er Isabella geliebt hat? Sicher nicht. Sicher spürt er die besondere Verbindung, die zwischen ihnen besteht.
Sie läuft auf und ab. Bleibt stehen und hält sich am hölzernen Geländer fest, späht durch den feuchten Dunst zum Strand hinunter. Ein Erwachsener und ein Kind, kein Zweifel. Natürlich gibt es noch andere Kinder in Lighthouse Bay, es muss ja nicht Xavier sein. Doch Isabella will es unbedingt erfahren.
Im Leuchtturm ist es still. Da Matthew nur wenige Stunden am Tag schläft, schläft er besonders tief. Sie schleicht auf Zehenspitzen die Treppe hinunter und zur Tür hinaus.
Der Wald zwischen Leuchtturm und Strand ist dicht und überwuchert, der Boden uneben unter ihren Füßen. Sie geht vorsichtig und gelangt schließlich auf eine Düne, die mit langem, stacheligem Gras bewachsen ist. Hier hält sie inne und schaut über den Strand. Da sind sie, vielleicht eine Viertelmeile entfernt, und es ist eindeutig Xavier. Er hat den Daumen im Mund, eine vertraute Haltung. Die Frau hat ihr den Rücken zugewandt, es ist nicht Katarina. Eine rundlichere Frau, die sich bückt, um eine Sandburg zu bauen, während Xavier zuschaut.
Isabella sehnt sich danach, ihn im Arm zu halten. Die andere Frau, das neue Kindermädchen, berührt ihn nicht. Sie zieht ihn nicht auf ihren Schoß und streichelt ihm nicht das Haar und flüstert ihm nichts ins Ohr. Gewiss braucht er all das, um glücklich zu sein.
Dann ein dunkler Gedanke: Vielleicht ist er glücklich. Vielleicht ist er ohne Isabella glücklich . Das neue Kindermädchen mag zwar nicht liebevoll sein, aber sie ist ruhig und praktisch und zuverlässig – all das ist Isabella nicht. Einerseits ist sie erleichtert, weil Xavier nicht zu leiden scheint. Andererseits betrübt sie der Gedanke. Wenn er nicht gerettet werden muss, welchen Sinn hat ihr Leben dann noch? Sie will nicht allein die lange Reise nach Amerika antreten, diese leeren Meilen hinter sich bringen. Bei dem Gedanken würde sie am liebsten schluchzen.
Isabella schleicht am Waldrand entlang und hofft, einen besseren Blick zu erhaschen. Etwas an den Schultern der Frau kommt ihr vertraut vor. Sie schaut näher hin und erkennt, dass es die Köchin ist. Die Köchin kümmert sich um Xavier. Natürlich. Katarina kann nicht so schnell ein neues Kindermädchen gefunden haben. Sie ist erleichtert, weil sie weiß, dass die Köchin freundlich zu ihm sein und trotzdem Distanz wahren wird. Die andere Frau konzentriert sich ganz auf die Sandburg. Xavier schaut zum Horizont.
Isabella verharrt still und wünscht sich, er möge herübersehen. Doch er tut es nicht.
Sie nähert sich im Schutz der Bäume. Die Köchin darf sie nicht bemerken. Wenn Abel Barrett die Wahrheit gesagt hat und man sie in der Stadt für eine Diebin hält, kann sie es nicht riskieren, mit jemandem zu sprechen.
Jetzt spielen die Köchin und Xavier Verstecken. Sie steht im Sand, den Blick aufs Meer gerichtet, und hält sich die Augen zu. Xavier läuft über den Strand und in den Wald. Weit wird er nicht gehen, er fürchtet sich vor Schlangen. Doch die Köchin dreht sich um und tut, als könnte sie ihn nicht finden, sucht ihn am Waldrand, bis sie ihn gefunden hat. Dann kehrt sie zum Strand
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