Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)
Nacht. Grunzend und keuchend legt er sich in die Koje unter ihr. Sie dreht sich auf die Seite und wartet, bis er schläft, damit sie in Ruhe nachdenken kann.
Endlich verrät ihr das vertraute trompetende Schnarchen, dass er in einen trunkenen Schlaf gefallen ist. Der einzig sichere Weg ist, hinabzusteigen, den Schlüssel in die Westentasche zu stecken, sich hinzulegen und das Vorhaben zu verschieben.
Wieder schlägt sie die Decke zurück. Wieder steigt sie die Leiter hinunter. Als ihre nackten Knöchel seinen schlafenden Körper streifen, überläuft sie ein Schauer, wie man ihn in Gegenwart einer Schlange spürt.
Sobald ihre Füße den Boden berühren, will sie den verfluchten Schlüssel nicht mehr zurücklegen. Noch nicht. Sie steht im Dunkeln neben ihm, er hört sie nicht. Er wacht nicht auf. Ein verrückter Mut überkommt sie. Sie kniet sich hin und greift unter seine Koje.
Wenn er aufwacht, ist sie ertappt. Das weiß sie und tut es dennoch.
Behutsam zieht sie die Kiste heraus, bis sie ihre Knie berührt. Sie ist schmal und drei Fuß lang. Isabella muss sie auf ganzer Länge nach den fünf Schlössern abtasten. Sie fingert im Dunkeln mit dem Schlüssel herum. Es dauert eine Ewigkeit, von einem Schloss zum nächsten zu gelangen, den Schlüssel ins Schloss zu stecken und mit einem leisen Klick herumzudrehen. Die ganze Zeit über wagt sie kaum zu atmen. In dem dunkelgrauen Zimmer gibt es kein Licht. Sie ertastet sich ihren Weg.
Endlich klappt sie die Kiste auf. Zwei dünne Goldketten verhindern, dass der Deckel nach hinten auf den Boden schlägt. Sie hebt den schwarzen Samt hoch und sieht den Amtsstab dumpf schimmern: Gold, mit kostbaren Edelsteinen besetzt. Vorsichtig tastet sie in der Kiste nach dem Samtkissen, auf dem der Amtsstab ruht, hebt eine Ecke an, zieht ihr kostbares schwarzes Band aus dem Nachthemd und schiebt es darunter. Dann lässt sie das Kissen los und schließt die Kiste.
Klack.
Sie war zu selbstbewusst und hat den Deckel einen halben Zoll herunterfallen lassen. Das Geräusch erscheint ihr unglaublich laut in der Dunkelheit. Ihr Körper wird eiskalt, sie kann sich nicht bewegen. Das Herz springt ihr fast aus der Brust; selbst ihre Augäpfel scheinen zu pulsieren. Arthur hält inne und grunzt.
Dann setzt das Schnarchen langsam und rhythmisch wieder ein. Noch nie war sie so froh, ihn schnarchen zu hören. Sie muss beinahe lachen.
Wieder tastet sie nach den Schlössern, schließt eins nach dem anderen ab. Eine kühne Gewissheit hat sie ergriffen. Alles wird gut, daher lässt sie sich Zeit, schiebt die Kiste langsam unters Bett und steckt den Schlüssel in Arthurs Westentasche.
Dann die Leiter hinauf. Ins Bett. Sie liegt stundenlang wach, bis ihr erregtes Blut abgekühlt ist.
Fürs Erste ist Daniels Armband in Sicherheit. Es wird wenigstens auf die andere Seite gelangen, nach Sydney, wo Arthur Mr. Barton den Amtsstab im Namen der Königin überreichen soll. Isabella wird vor der Zeremonie natürlich noch einmal den Schlüssel stehlen und heimlich, still und leise die Kiste öffnen müssen, doch im Augenblick ist sie einfach nur froh, dass das schwarze Band nicht über Bord gehen wird. Alles andere wird sich finden, wenn sie dieses stinkende Schiff erst verlassen hat.
Die nächsten Tage sind trostlos. Eine schwarze Wolke senkt sich auf sie herab. Zuerst denkt sie, das fehlende Armband sei der Grund für die Dunkelheit, und vielleicht ist etwas Wahres daran. Vor allem aber liegt es am Wetter, das bleigrau und windig und rauh geworden ist.
Bei stürmischer See hält man sich am besten an Deck auf. Unter Deck, wo man sich nicht am Horizont orientieren kann, kann die Seekrankheit den Körper aufwühlen. Also verbringt sie Stunden auf dem Achterdeck, wo die Männer hinter ihr brüllen und fluchen, betrachtet das graue Meer und den grauen Himmel und versucht, sich unter einer Leinwand vor dem Regen zu schützen. Normalerweise wäre Meggy bei ihr, doch die weicht ihr jetzt aus und zieht es vor, die Zeit mit Stickarbeiten im Salon zu verbringen. Unter Deck geht das Leben weiter, dehnt die Zeit zu einer Linie. An Deck, wo nichts zu sehen ist außer dem endlosen Meer, bleibt die Zeit in einem ewig währenden, grauen Augenblick stehen. Die endlose Reise ist wie ihre Traurigkeit. Sie sieht kein Land, kann kein Ende vorhersagen, alles ist vom Sturm umtost.
Und manchmal, wenn der harte, aber niemals kalte Regen niederprasselt, verkriecht sie sich in der letzten trockenen Ecke hinter dem Steuerrad des
Weitere Kostenlose Bücher