Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)
»Du wirst unter Deck bleiben, bis wir Sydney erreichen.«
»Was? Nein!«
»Du bleibst im Salon oder in unserer Kajüte. Leistest Meggy Gesellschaft. Mir ist egal, was du tust. Aber halte dich von der Mannschaft fern. Wahre den Anstand. Und suche nicht Trost für alte Wunden, die längst verheilt sind, nur um die Aufmerksamkeit auf dich zu lenken.«
»Ich bin nicht verheilt!«, schreit sie. Doch er hat sich schon abgewandt und ist durch die vordere Luke verschwunden. Sie will ihm die Stickschere in die Stirn rammen; vielleicht Daniels Namen dort einritzen, damit er sich an das Baby erinnert, das er verloren hat, das sie verloren haben. Isabella ist, als verlöre sie den Verstand. Jeder Nerv in ihrem Körper kribbelt vor Frustration. Der Zorn staut sich in ihr, unter ihren Rippen und um ihr Herz herum. Sie will irgendetwas zerstören. Gerade jetzt ist es Arthur, doch wenn Meggy in diesem Augenblick durch die Luke käme, würde sie auch ihr Gesicht zerfetzen. Woher kommt diese Gewalt? Sie war einst eine freundliche Frau. Wie sanft ihre Hände waren, wenn sie die leichten, zarten Gliedmaßen ihres Sohnes hielten.
Unter Deck gefangen. Die stehende Luft und die Gerüche aus dem Laderaum, ganz zu schweigen vom Mannschaftsquartier. Ihr wird schlecht werden. Doch Arthur interessiert es nicht, ob ihr übel ist. Weshalb will er sie überhaupt noch, wenn sie nur eine Enttäuschung und ein Ärgernis für ihn darstellt? Wie kann er es ertragen, mit ihr verheiratet zu sein, wenn sie es kaum ertragen kann, mit ihm verheiratet zu sein?
Isabella bemerkt, dass sie ihren Stickrahmen zerdrückt und dass die Nadel sich in ihre Handfläche gebohrt hat. Sie zieht sie vorsichtig heraus, und es bildet sich ein kugelrunder Blutstropfen. Sie starrt wie gebannt darauf, auf die zarten Linien in ihrer Handfläche. Sie drückt neben der winzigen Wunde in die Haut, und die Kugel verwandelt sich in einen Tropfen, der über ihr Handgelenk rinnt.
Flucht.
Sie ist weit von zu Hause entfernt. Wenn sie in Australien verschwände, wie sollte er sie jemals finden? Sie könnte eine Überfahrt nach Amerika buchen, wo Victoria lebt. Schon nimmt ihr Plan deutlichere Gestalt an. Im letzten Brief hat ihre Schwester erwähnt, sie erwarte ein Baby. Isabella könnte ihr Daniels Armband bringen, so ungern sie sich auch davon trennt, und dann würde sein Geist im Kind ihrer Schwester weiterleben. In diesem Augenblick, in dem sie von einem Brennen ergriffen wird und erkennt, wie richtig diese Idee ist, wünscht sie sich nichts mehr als das.
Zum ersten Mal seit Jahren fühlt Isabella sich leicht.
Sechs
I sabella sitzt auf ihrem Bett. Die Kajütentür ist geschlossen und mit einem Schrankkoffer voller Kleider blockiert. Sie hat einen Füllfederhalter und ein Stück Papier bereitgelegt und stellt ein Verzeichnis der Schmuckstücke auf, die sie vor sich ausgebreitet hat.
1 Armband mit Rubinen und Diamanten
1 goldener Anhänger mit Saphiren
1 goldener Anhänger mit Perlen
1 Platinanhänger mit Perlen und Amethysten
1 Paar Ohrringe mit Diamanten und Peridoten
1 Paar französische Ohrringe mit Gold und Opalen
1 ungarische Smaragdbrosche
1 Stiefmütterchen-Brosche aus Emaille mit Diamant
1 Platinbrosche mit Rubinen und Perlen
1 Ring mit Diamant und Mondstein
1 Saphirring
Das ist alles, was sie an Wertsachen besitzt. Schuhe und Kleider lassen sich nicht so leicht verkaufen, Schmuck hingegen schon. Jedes einzelne Teil war ein Geschenk ihres Mannes oder seiner Familie, aber sie trägt nichts davon. Wenn Arthur sie bei besonderen Anlässen dazu drängt, lässt sie sich von ihm beraten, was im Kerzenlicht am schönsten glitzert, doch meist bleiben die Schmuckstücke in der mit Seide bezogenen Schmuckdose, ein verborgener Hinweis darauf, dass Isabella der Familie Winterbourne gehört, denn jedes dieser Stücke ist ein Winterbourne-Original. Sie gehört ihnen, seit die Familie das Geschäft ihres Vaters zu einem »maßlos überhöhten Preis« gekauft hat, wie es Arthurs Mutter auszudrücken pflegt.
Jedes dieser Stücke gehört also auch ihr. Man kann ihr keinen Diebstahl vorwerfen. Da ist sie sich so gut wie sicher.
Nachdem sie das Verzeichnis fertiggestellt hat, packt Isabella die Juwelen wieder nach unten in den Schrankkoffer, faltet das Blatt und schiebt es unter ihr Kopfkissen. Sie legt sich mit verschränkten Armen hin und schließt die Augen. Die Kabine hat kein Fenster, so dass es trotz des Tageslichts grau bleibt. Das Schiff schlingert dahin.
Wieder und wieder
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