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Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)

Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberley Wilkins
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sagt aber, dass sie versuchen müsse, sich zu erholen. Weiß er denn nicht, dass sie Daniel ein zweites Mal verliert, wenn sie sich von seinem Tod erholt? Es wäre wie Vergessen.
    Doch sie hat sich nach solch tröstlichen Worten gesehnt, und vielleicht hat auch Mr. Harrow sich eine verwandte Seele gewünscht, mit der er seinen Kummer teilen kann. Sie stehen einen Augenblick lang da, die Hände verschränkt, Tränen in den Augen. Und dann kommt Meggy herein.
    »Oh«, sagt sie und registriert mit blassen Augen ihre Haltung, die verschlungenen Hände, den suchenden Blick. Zuerst versteht Isabella nicht, was das bedeutet: Der Augenblick, den sie und Mr. Harrow miteinander teilen, hat nichts Romantisches. Doch, bei Gott, es sieht so aus.
    Mr. Harrow lässt entsetzt ihre Hände fallen – denn Isabella argwöhnt, dass er für Meggy schwärmt –, weicht einen Schritt zurück und stößt sich den Kopf an einer Kupferpfanne.
    »Warte, Meggy«, sagt Isabella, doch diese hat schon auf dem Absatz kehrtgemacht und ist davongeeilt.
    Mr. Harrow reibt sich den Kopf. »Ich sollte besser gehen.«
    Isabella nickt und bleibt allein in der Kombüse. Sie fragt sich, wann sie die unvermeidlichen Konsequenzen zu spüren bekommt.
    ***
    Der Geruch nach geschmortem Fleisch dringt aus der Kombüse bis in den Salon, wo Isabella alleine mit ihrem Stickrahmen sitzt. Sie hat an diesem Abend viele Fehler gemacht und so viel Zeit damit verbracht, falsche Stiche aufzutrennen, dass sie gar nicht erst mit der Arbeit hätte beginnen müssen. Meggy ist nirgendwo zu sehen. Isabella hat die schwache Hoffnung, dass sie die Szene mit Mr. Harrow für sich behalten wird. Doch diese Hoffnung ist nicht von Dauer, denn in der Dämmerung poltert Arthur die Treppe herunter und steht kurz darauf vor ihr, die Augenbrauen so stark zusammengezogen, dass finstere Schatten über sein Gesicht fallen. Isabella legt den Stickrahmen beiseite und versucht, nicht zu blinzeln oder zusammenzuzucken oder in irgendeiner Weise zu zeigen, dass sie weiß, was ihr bevorsteht.
    »Was ist denn los, Arthur?« Sie zwingt ihre Hände, still zu sein, greift nach einem Streichholz und entzündet die Öllaterne über ihrem Kopf, bevor sie leise die Klappe schließt.
    Einen Moment lang fehlen ihm die Worte. Er stottert und spuckt und sagt dann schließlich: »Ich werde nicht dulden, dass du einem anderen Mann solche Aufmerksamkeit entgegenbringst.«
    Sie täuscht weiterhin Verwunderung vor, spürt Meggys Verrat jedoch wie einen Stich. »Ich habe dir keinen Anlass dazu gegeben und werde es auch nicht tun«, erwidert sie gelassen.
    »Jetzt spiel hier nicht die Unschuld!«, brüllt er, und sie stellt sich vor, dass es alle unter Deck bis hin zum Mannschaftsquartier hören können. Das Schiff mag hundertsechzig Fuß lang sein, aber unter Deck ist alles eng beieinander. Arthur spürt, dass er sich kompromittiert, und senkt die Stimme. »Meggy hat dich mit Harrow gesehen.«
    »Mr. Harrow hat mich getröstet«, sagt sie. »An seiner Berührung war nichts, das die Grenzen ganz gewöhnlichen menschlichen Mitgefühls überschritten hätte.«
    »Weswegen hat er dich getröstet?« Er sagt es in einem so verblüfften Ton, als glaubte er tatsächlich, dass sie keines Trostes bedürfe.
    In diesem Moment verspürt sie einen brennenden Hass, weil er so blind und gänzlich ohne Mitgefühl ist. »Mr. Harrows Frau ist gestorben. Ich dachte, er könnte verstehen, was ich wegen Daniels Tod empfinde.«
    »Was du empfindest, Isabella, solltest du nicht fremden Männern auf einem Schiff …«
    »Einem Mitmenschen, der ebenfalls einen schweren Verlust erlitten hat«, sagt sie und schneidet ihm damit das Wort ab, obwohl sie weiß, dass er diese Eigenschaft am meisten an ihr verachtet. Isabella, du solltest mir zuhören und weniger reden.
    Arthur stottert noch ein bisschen und läuft in dem kleinen Raum auf und ab, seine Schuhe klappern auf dem Holz. Der Geruch von Regen und Rauhreif ist stark, und sie denkt an das ruhelos tosende Meer dort draußen, und auch in ihren Eingeweiden tost es ruhelos.
    Schließlich sagt er: »Der Tod des Kindes hat dich nicht zu etwas Besonderem gemacht, Isabella. Du bist immer noch die Frau, die du warst. Du verdienst keine besondere Behandlung, du stehst nicht über den Regeln der Gesellschaft.« Sein Blick wandert zu ihrem Handgelenk. »Immerhin hast du das verschlissene Band abgenommen.«
    Sie sträubt sich, beißt aber nicht.
    Er reckt die Schultern und zuckt mit den Nasenflügeln.

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