Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)
ich …« Sie verstummte. Libby spürte einen Stich im Herzen. »Ich möchte, dass so viel wie möglich beim Alten bleibt. Dazu gehört auch, dass Sie unseren Katalog entwerfen.«
»Verstehe«, sagte Libby, obwohl es ihr vorkam, als betrachtete sie sich selbst aus großer Entfernung. Das ist Marks Frau. Die Rivalin. Der Feind. Der Mensch, den Libby sich um jeden Preis kalt oder schrill oder eitel gewünscht hatte. Doch schon nach wenigen Sekunden war ihr klargeworden, dass Emily nichts davon war. Plötzlich fielen ihr die angemessenen Worte ein: »Mein aufrichtiges Beileid. Mark war ein wunderbarer Mann.« Oder klang das zu vertraulich? »Jedenfalls kam es mir so vor, wenn ich mit ihm zusammengearbeitet habe.«
»Er war nur ein Mann, Libby. Manchmal war er wunderbar, dann wieder eine Nervensäge.« Sie lachte leicht. »Mit seinem Perfektionismus komme ich einfach nicht zurecht.«
Na bitte. Emily hatte in der Gegenwart von ihm gesprochen. Das empfand Libby als seltsam tröstlich, denn auch sie dachte noch so an Mark.
»Aber ich habe ihn trotz seiner Fehler sehr geliebt und vermisse ihn mehr, als ich sagen kann.«
Libby kämpfte mit den Tränen. »Geht es Ihren Töchtern gut?«
»Oh, ja. Sie führen ihr eigenes Leben. Und ich freue mich darauf, im Juli Großmutter zu werden. Ich lebe von Tag zu Tag. Aber Schluss jetzt! Als wenn Sie an diesem ganzen Unsinn interessiert wären. Seit er gestorben ist, jammere ich Fremden und Leuten, denen er völlig egal war, etwas vor.«
Libby fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und legte sich die nächsten Worte sorgfältig zurecht. »Ich bin keine Fremde, und er war mir nicht egal.«
Sie hörte, wie die Frau am anderen Ende mit den Tränen kämpfte. Dann hatte Emily sich wieder in der Gewalt. »Trotzdem. Das Geschäft geht vor. Das Geschäft hält mich am Leben. Wie funktioniert das jetzt? Schicken wir Ihnen die Bilder?«
»Mark hat den Fotografen beauftragt und mir die Dateien geschickt. Dann haben wir uns zusammengesetzt und das Thema der Saison besprochen, wie der Katalog aussehen soll, welche Stücke präsentiert werden und so weiter.«
»Das hat er alles gemacht? Kein Wunder, dass er so oft in Paris war. Libby, Sie haben zwölf Jahre mit Mark zusammengearbeitet. Schaffen Sie das auch allein?«
»Natürlich.«
»Ich bezahle extra.«
»Nicht nötig.« Im nächsten Moment hätte sich Libby ohrfeigen können. Winterbourne war eine große Firma. Doch sie brachte es nicht über sich, Emily mehr Geld als gewöhnlich abzunehmen, denn Emily war Marks Frau. Die Frau, von der sie sich zwölf Jahre gewünscht hatte, sie möge nicht existieren.
»Können Sie auch den Fotografen auswählen?«
Jetzt wurde es heikel. »Ich kenne einige gute Leute in London und Paris, aber zuerst müsste ich die neue Kollektion sehen. Könnten Sie mir ein paar Fotos schicken? Die Qualität muss nicht hervorragend sein. Nehmen Sie sie ruhig mit dem Handy auf, dann sehe ich sie mir an und maile Ihnen ein paar Ideen.«
»Ja, das müsste gehen. Dann habe ich wenigstens etwas zu tun. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, wenn ich mich von jetzt an direkt an Sie wende. Bei dieser Sache bin ich ganz auf Sie angewiesen.«
»Jederzeit.« Sie gab Emily ihre Telefonnummer und die neue E-Mail-Adresse und verabschiedete sich. Dann zog sie Flip-Flops an und ging an den Strand.
Es war dunkel und kühl, aber nicht kalt. Sie ließ die Wellen ihre Knöchel umspielen. Was war das nur für ein unangenehmes, lauerndes Gefühl, das sie aus dem Haus getrieben hatte? Trauer, das auf jeden Fall. Angst: ganz normal, aber sie würde den Job problemlos bewältigen, sofern sie den richtigen Fotografen fand.
Schuld.
Die hatte sie auch früher schon verspürt. Zwölf Jahre lang, verschwommen, von Zeit zu Zeit, wie eine leise, unterschwellige Übelkeit. Doch dies war eine andere Art von Schuld. Mark hatte eine Frau. Ihr Name war Emily. Sie hatte Mark geliebt. Wenn sie von Libby erfahren hätte, hätte das ihr Glück zerstört.
Libby hätte ihr Glück zerstört.
Das konnte sie noch immer. Und plötzlich wünschte sie sich verzweifelt, dass dieses Geheimnis niemals, niemals ans Licht käme. In der Vergangenheit hatte sie es manchmal gehofft, weil Mark sich dann hätte entscheiden müssen. Verlass sie, bleib bei mir! Auf einmal erschien es ihr unmöglich, dass sie es für immer geheim halten könnte. Cathy war bereits misstrauisch geworden. Die Briefe waren zusätzliche Beweise. Wer sonst hatte Verdacht geschöpft? Wer
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