Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)
möchtest …«
»Sehr gern«, sagte er rasch. »Wie wäre es mit dieser Woche?«
»Wunderbar. Donnerstag um sieben? Bis dahin kannst du ja sehen, was du über die ›fremde Frau‹ findest.« Libby stand auf und reckte sich.
»Komm, ich helfe dir die Treppe hinunter.« Er griff nach der Laterne.
An der Tür schaute sie zu ihrem Cottage hinüber. »Ich hoffe, sie lassen mich heute Nacht in Ruhe.«
»Was glaubst du, was sie wollen?«
Einen Moment lang war Libby sprachlos. Darüber hatte sie gar nicht nachgedacht. Sie war viel zu ängstlich und wütend gewesen. »Keine Ahnung. Mich erschrecken?«
»Wieso? Wenn sie dich erschrecken wollten, gäbe es effektivere Möglichkeiten.«
Libby überlegte, bis ein unangenehmes Kribbeln sie überkam. »Vielleicht suchen sie etwas.« Falls das stimmte, würden sie nicht aufgeben, bis sie es gefunden hatten.
»Kann sein. Aber keine Sorge, ich passe auf. Und wenn du Angst bekommst, klopf einfach an die Tür.«
»Ich danke dir.«
»Dürfte ich dich trotzdem bitten, niemandem zu verraten, dass ich hier bin?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Natürlich, wem auch?«
»Zum Beispiel Juliet. Du weißt schon.«
»Verstehe. In Ordnung.«
»Es ist nicht für immer, und irgendwann schicke ich die ganzen Papiere an ein Museum oder eine Bibliothek.«
Libby hätte gern gefragt, weshalb er als Hausbesetzer in einem Leuchtturm wohnte, unterließ es aber. »Dein Geheimnis ist bei mir sicher.«
In dieser Nacht träumte sie, sie wäre auf einem Schiff. Die Wellen schlugen so hoch, dass ihr übel wurde, und sie war davon überzeugt, dass Mark im Wasser trieb und von ihr gerettet werden musste. Doch wann immer sie sich der Seite des Schiffes näherte und das Rettungsboot herunterlassen wollte, baute sich eine gewaltige Welle auf und warf sie wieder nach hinten, bis das Deck fast senkrecht stand und sie sich mit schmerzenden Fingerspitzen daran entlanghangeln musste.
Mitten in der Nacht erwachte sie von ihrem eigenen Schluchzen. In der Ferne das Rauschen des Meeres, Leere in ihrer Brust. Mark war ihr längst entglitten.
Elf
A ls Libby am nächsten Morgen ihre E-Mails abrief, hatte Emily Material geschickt. Achtzig Fotos, die allesamt aussahen, als hätte sie sie tatsächlich mit dem Handy aufgenommen. Auf vielen erkannte Libby das klassische Winterbourne-Design, aber es waren auch ein paar neue und überraschende Entwürfe dabei. Sie ging die Bilder durch und las dann Emilys E-Mail:
Ich möchte, dass der Katalog eine Hommage an Mark und die Geschichte der Winterbournes wird, doch er soll auch eine neue Hoffnung und den Weg in die Zukunft widerspiegeln. Sie werden mir sicher zustimmen, dass unsere neuen Entwürfe sehr modern gehalten sind, und ich würde sie gerne im Zentrum des Katalogs sehen. Aber ich lasse mich jederzeit von Ihnen beraten. Was halten Sie davon?
Libby begriff, dass Emily den Katalog und die neue Linie benutzen wollte, um aus ihrem eigenen Kummer herauszufinden und sich der Zukunft zu stellen. Mark hätte niemals eine solche künstlerische Entscheidung getroffen. In seinen Augen lebte Winterbourne von seiner Geschichte, so verstaubt sie manchmal auch erscheinen mochte. Neue, vor allem experimentelle Entwürfe wurden immer weit hinten im Katalog versteckt. Libby verspürte eine spontane Zuneigung, weil Emily in der Lage war, über die Tradition hinauszublicken und in so viel Negativem dennoch die Chance auf einen Neuanfang zu sehen. Sie antwortete begeistert auf die E-Mail und begann sofort damit, Ideen in ihr Notizbuch zu zeichnen. Dann schickte sie E-Mails an einige Fotografen, mit denen sie in Paris und London gearbeitet hatte, und stellte einen Zeitplan für die Produktion des Katalogs auf. Sie war verrückt: Sie hätte sich von Emily für die zusätzliche Arbeit bei der Koordinierung bezahlen lassen sollen. Es würde ganz schön aufwendig werden.
Dann hörte sie das Motorrad des Briefträgers und merkte, dass sie seit Stunden die Beine nicht bewegt hatte. Sie stand auf und ging nach draußen, wobei sie tief die frische Seeluft einatmete. Die Arbeit hatte ihr gutgetan. Sie vermisste Mark natürlich noch immer, doch Emily hatte ihr heute gezeigt, dass es noch etwas jenseits der Trauer gab. Sie wusste nicht, was das für sie war, würde es aber auch nie herausfinden, wenn sie sich nicht selbst in diese Richtung bewegte.
Sie holte einen großen gelben Umschlag von Winterbourne aus dem Briefkasten, in dem sich die ungeöffneten Briefe befanden, die Cathy in
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