Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)
selten Leerstand. Nicht einmal im Winter.«
Libby nickte. »Warum wollen Sie mein Cottage?«
»Weil es meine letzte Chance ist. Der Gemeinderat und die öffentliche Meinung haben verhindert, dass ich irgendwo anders baue. Gegenüber von Ihrem Haus ist nur Gebüsch, also kann sich niemand beschweren, dass ihm die Sicht verbaut wird. Und es liegt abseits des Gewerbegebiets, also gelten die dortigen Regelungen auch nicht. Ich gebe zu, zuerst waren wir zu ehrgeizig. Ein Komplex mit fünfzig Zimmern würde hier nicht funktionieren, und auch kein Hochhaus. Aber eine hochklassige Öko-Ferienanlage mit nur achtzehn Zimmern? Lighthouse Bay ist wie dafür geschaffen. Es wäre gut fürs Geschäft. Gut für den Tourismus. Gut für alle. Es würde Lighthouse Bay zu einem Begriff machen.«
Für alle? Sie überlegte, was Juliet wohl davon halten würde.
»Ihr Gesichtsausdruck verrät mir, dass Sie immer noch nicht verkaufen wollen.«
»Ich danke Ihnen, dass Sie sich die Zeit genommen und mir das alles gezeigt haben. Aber vielleicht sollten Sie sich lieber woanders umsehen.«
»Lighthouse Bay ist wie dafür geschaffen. Es muss erschlossen werden. Unbedingt.« Dann kehrte er die Handflächen nach außen. »Aber ich verstehe. Darf ich Ihnen wenigstens ein paar Zahlen zusammenstellen und ein Angebot schicken?«
Wieder war Libby neugierig. Doch sie spürte auch eine leise Angst. Angesichts ihrer Geldprobleme könnte die Versuchung zu groß werden.
»Bitte.«
Sie schaute ihn an. Sein Lächeln war so aufrichtig. »Es kann nicht schaden. Aber machen Sie sich auf eine Enttäuschung gefasst.«
»Natürlich. Nachdem Sie einmal ein offizielles Angebot abgelehnt haben, lasse ich Sie in Ruhe. Ich bekomme trotzdem einen goldenen Stern, weil wir uns überhaupt getroffen haben. Das hat mein Boss schon seit Jahren vergeblich versucht.«
Sie lächelte. »Vielen Dank für das Essen.«
»Das Vergnügen war ganz auf meiner Seite.« Er hielt ihren Blick flüchtig gefangen und wandte sich dann beinahe schüchtern ab, worauf Libbys Herz einen unerklärlichen Sprung machte. »Ich habe einen Termin um drei. Ich fahre Sie jetzt besser nach Hause.«
Abends fand sie das Angebot in ihrer Mailbox, als Anhang einer Nachricht von einem gewissen Yann Fraser. Tristans Name tauchte nirgendwo auf. Libby war seltsam enttäuscht. Als sie die Datei öffnete, blieb ihr fast das Herz stehen.
Das Angebot belief sich auf zweieinhalb Millionen Dollar.
Zwölf
1901
M atthew fühlt sich immer wieder zu der Frau hingezogen. Er versorgt das Leuchtfeuer, stellt das Signal ein, betätigt die Kurbel für die Gewichte, horcht auf das vertraute Rasseln des Mechanismus, der das Prisma in Bewegung setzt, das das Leuchtfeuer übers Meer schickt. Im Telegrafenraum schreibt er bei Lampenlicht in sein Tagebuch und füllt die Vordrucke für die Regierung und die Schifffahrtsgesellschaften aus. Doch zwischen diesen Aufgaben kehrt er zum Bett zurück und schaut auf sie hinunter, und in ihm regt sich Traurigkeit. Nein, sie ist nicht Clara, aber sie ist ihr so ähnlich. Das blonde Haar, der weich geschwungene Mund. Mehr noch. Die Wildheit in ihren Augen, das Gefühl, dass sie ein gefangener Vogel ist, mit dem man freundlich und sanft umgehen und den man letztlich – unweigerlich – freilassen muss.
Ein gefangener, sehr hübscher Vogel.
Vielleicht ist er ein Narr. Zwanzig Jahre Alleinsein können einen Mann brechen, auch wenn die Isolation nicht aufgezwungen, sondern selbst gewählt ist. Er weiß nichts über diese Frau. Woher ist sie gekommen, barfuß und blutend? Wie weit ist sie gereist? Kommt sie aus einer der Goldgräberstädte im Landesinneren? Warum hat sie nicht einfach den Zug nach Brisbane genommen? Warum ist sie hier, und was hat sie durchgemacht?
Auch die lange Kiste – auf die sie wie eine Wildkatze zugesprungen ist, als müsse sie ihre Jungen verteidigen – macht ihn neugierig.
Matthew stellt einen Hocker neben das Bett und betrachtet sie im flackernden Lampenschein. Sie sieht friedlich aus, ihre Brust hebt und senkt sich sanft. Morgen muss er sie aus dem Leuchtturm locken, bevor jemand merkt, dass sie hier ist. Er steht auf, geht ans Fenster und schaut aufs Meer hinaus. Das Licht bricht sich im großen Prisma und funkelt auf den Wellen, streicht von Norden nach Süden und wird wieder dunkel. Heute Abend ist das Meer still. Keine Schiffe, keine Stürme, kein starker Wind. Hell, dunkel, hell, dunkel, das vertraute Muster, das er in all den Jahren in
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