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Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)

Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberley Wilkins
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Sie nähert sich und stellt fest, dass das Brett daneben zerbrochen und lose ist. Man kann es beiseiteschieben, und es tut sich eine Öffnung auf, durch die sich ein kleiner Junge hindurchzwängen und an der Seite des Hauses hinauskriechen kann. Isabella windet sich mit Mühe hindurch und findet sich in einem Teil des Gartens wieder, in dem sie noch nie gewesen ist. Ein Stück weiter hockt Xavier und spielt mit etwas, das auf dem Boden liegt. Das Gras wächst hier unregelmäßig und ist von Unkraut überwuchert. Ein hoher Zaun trennt diesen Bereich vom Rest des Gartens. Es ist ein Niemandsland, und doch hat Xavier etwas sehr Interessantes gefunden.
    »Was hast du denn da?« Sie kniet sich neben ihn.
    Er hält zwei Zigarrenstummel hoch, einen in jeder Hand.
    Isabella nimmt sie ihm rasch und sanft aus der Hand. Sie fallen auf den Boden, und sie bemerkt, dass unter einem Fenster Dutzende weitere Stummel liegen. Sie geht im Kopf den Grundriss des Hauses durch und erkennt, dass sie sich unter dem Fenster des verbotenen Zimmers befinden. Es wird Ärger geben, wenn man sie entdeckt. Sie hebt Xavier hoch. »Nein, die sind schmutzig. Die darfst du nicht anfassen.«
    Er streckt ihr die Hände entgegen, ein Zeichen, dass er sie waschen will. Sie führt ihn rasch und leise zurück in die Waschküche, schiebt ein leeres Fass über das Loch im Boden, damit er nicht noch einmal hindurchkriechen kann, und geht mit ihm zur Wanne, um ihm die Hände einzuseifen. Während sie sich um ihn kümmert, überlegt sie, was sie da gerade gesehen hat. Eine Ansammlung von Zigarrenstummeln draußen vor dem Fenster, als hätte jemand sie hinausgeworfen. Ist das Katarinas schreckliches Geheimnis? Dass sie gerne Zigarren raucht? Es ist keine Sünde, aber Isabella kann sich vorstellen, wie Arthur reagiert hätte: Er hätte sie mit seiner scharfen Zunge grausam zurechtgewiesen. Also kann sie die Heimlichtuerei in gewisser Weise verstehen.
    Sie trocknet Xavier energisch die Hände ab und schaut nach unten. Er hat ihr sein kleines Gesicht zugewandt, es leuchtet vor Glück. Sie lächelt, und die Worte kommen ihr über die Lippen, bevor die Weisheit es ihr verbietet. »Mein kleiner Junge«, sagt sie. Er wirft sich gegen sie, umschlingt ihre Beine und vergräbt sein Gesicht in ihrem Rock. Er gehört ihr, so wie sie ihm gehört. Sie gehören zueinander.

    Isabella bemüht sich tagsüber, Matthew zu vergessen, gibt abends aber manchmal ihre Zurückhaltung auf und gestattet sich, an ihn zu denken. Sie hat ihn so lange nicht gesehen, dass er fast zu einer fiktionalen Gestalt in ihrer Welt geworden ist: der dunkeläugige, nach Moschus riechende Mann, der sie gerettet hat, der sie um ihrer selbst willen auf Distanz hält. Als sie ihn eines Morgens im Lebensmittelgeschäft trifft, ist sie beinahe überrascht, einem echten Menschen gegenüberzustehen.
    Sie hält Xaviers warme Hand in ihrer, als sie sich ihm nähert. Die Kartoffeln, die sie fürs Abendessen kaufen sollte, sind vergesen. »Mary«, sagt er vorsichtig. »Und das muss der kleine Master Fullbright sein.«
    »Xavier«, erwidert sie und legt dem Kind schützend die Hand auf die Schulter. »Darf ich dir Mr. Seaward, den Leuchtturmwärter, vorstellen?«
    Xavier ist schüchtern oder ängstlich oder beides und verbirgt sein Gesicht in Isabellas Rockfalten. Sie streicht ihm sanft über den Rücken. »Komm, Liebling, du brauchst keine Angst zu haben.«
    »Hallo, Xavier. Freut mich, dich kennenzulernen.« Matthew kniet sich, um mit dem Jungen auf Augenhöhe zu sein.
    Xavier riskiert einen Blick, erschauert, als er Matthews warmes Lächeln sieht, und verbirgt wieder sein Gesicht. Matthew steht auf und lacht. »Kinder haben mich noch nie auf den ersten Blick gemocht.«
    »Sie sind ziemlich groß und furchteinflößend«, sagt Isabella und bedauert es sofort. Wird er es als Beleidigung auffassen? Sie wechselt rasch das Thema. »Ich nehme an, Sie haben noch nichts von meiner Schwester gehört?«
    Er runzelt besorgt die Stirn. »Nein. Kein Telegramm. Ich hoffe, sie hat Ihnen einen Brief geschrieben, der hierher unterwegs ist. Sobald ich etwas weiß, melde ich mich.«
    »Ja, ein Brief wird eine Weile brauchen. Es ist ja erst sechs Wochen her.«
    Er nickt. »Es kommt mir länger vor, dass ich …« Er beendet seinen Satz nicht, und sie kennt auch den Grund. Es kommt mir länger vor, dass ich Sie zuletzt gesehen habe , klingt nicht sachlich, sondern romantisch. Und sie weiß, Matthew Seaward ist ein sachlicher Mensch.

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