Das Haus am Nonnengraben
gefallen, und der Zweite war schon nach Amerika gegangen. Die gnädige Frau hat also nur noch den Jüngsten, ihr Nesthäkchen, gehabt. Er war ein Nachzügler, zehn Jahre jünger als sein älterer Bruder, und sie hing an ihm halt ganz besonders. Aber sie hat sich immer große Mühe gegeben, ihn net zu verhätscheln, ihr Dölfchen. Adolf hat er eigentlich geheißen.«
»Adolf, der Sohn einer Jüdin?«
»Ach, das war doch lange vor dem Hitler. Adolf ist 1907 geboren, da war das noch ein ganz normaler Name.«
Hanna dachte verwundert darüber nach, wie ein Mann einen Namen so völlig aufsaugen konnte, dass dieser nach ihm nie mehr verwendet, ja nicht einmal ohne Echo genannt werden konnte.
»Außerdem hatte den Namen ja ihr Mann ausgesucht, Adrian Rothammer.«
»Adrian, Adolf, Adalbert … Begannen in der Familie Rothammer alle Vornamen mit ›A‹?«, fragte Hanna.
»Die der Söhne schon«, antwortete Kürtchen, »das hatte etwas mit ihrem Wappen zu tun. Der erste Rothammer, der das Haus gebaut hat, der Sämereigroßhändler, hat dieses Wappen gekriegt oder gekauft. Das hing ganz groß im Treppenhaus, und drunter standen zwei lateinische Wörter, ›Arbor regnat‹ oder so ähnlich, und alle Rothammers sollten diese Anfangsbuchstaben haben.«
»Aber jetzt hängt das Wappen nicht mehr im Treppenhaus. Ich habe es zumindest dort nicht gesehen.«
»Nein, des hat die edle Elfi weggeworfen, gleich nach dem Tod vom Arthur«, sagte Kürtchen bitter. Doch plötzlich schüttelte sie den Kopf. »Was bin ich nur für eine Gastgeberin! Ich red und red. Entschuldigen Sie bitte. Täten Sie mir den Gefallen, einen Kirschlikör mit mir zu trinken? Er steht dort drüben auf der Kredenz. Nehmen Sie doch bitte die Gläser aus dem rechten Fach.«
Hanna schüttelte sich fast bei dem Gedanken an Kirschlikör, aber die Gläser waren schön, alte rubinrote Kristallgläser. Als sie den Likör einschenkte, lobte sie die Gläser, und Kürtchen sagte, die habe sie von der »gnädigen Frau« zum Abschied geschenkt bekommen.
»Wieso zum Abschied?«, fragte Hanna.
»Ach, des ist eine traurige Geschichte. Herr Rothammer hat mit dem Geld von seiner Frau – er war wohl auch von Haus aus net arm, aber sie hat viel Geld mit in die Ehe gebracht –, damit hat er als Bankier ordentlich Karriere gemacht und war ein hohes Tier geworden, bei der Reichsbank, glaub ich. Und dann kam das Dritte Reich, und da war es für ihn irgendwann sehr lästig, eine jüdische Frau zu haben. Die gnädige Frau war nie besonders religiös gewesen, aber jetzt bestand sie darauf, eine Jüdin zu sein, ging sogar in die Synagoge. Etwas anderes ließ ihr Stolz net zu. Na ja, schließlich hat er sie nach Amerika geschickt, zu ihrem Sohn.«
»Und das hat sie sich gefallen lassen?«
»Es sollt ja nur vorübergehend sein. Und kurz drauf war es dann zu gefährlich. Und sie mocht wohl auch ihren Mann nimmer mit all seinen Nazifreunden.«
»Und ihr Dölfchen hat sie nicht mitgenommen?«
»Der war damals doch schon sechsundzwanzig und hat studiert und an seiner Doktorarbeit gesessen.«
»Und nach dem Krieg, ist sie da nicht zurückgekommen?«
»Ach, nach dem Krieg, da wollt sie nimmer nach Deutschland. Ihre Eltern sind in Theresienstadt ermordet worden. Und außerdem waren hier doch so schlechte Zeiten. Es gab doch nix zu essen, und in der Familie war’s auch … na ja. Der alte Rothammer war im letzten Kriegsjahr gestorben, und der Adolf hat doch diese Inge, diese Haushälterin, geheiratet gehabt. Das heißt, eigentlich hat sie ihn geheiratet. Er war zu sanft, er hat sich net wehren können. Er war so gescheit, der berühmte Herr Professor, und gleichzeitig so blind. Mein ganzes Leben hab ich ihn gekannt und ich … und ich …« Kürtchen schwieg einen Moment, dann schüttelte sie den Kopf und nahm einen Schluck Kirschlikör. »Ich hätt ihn schon auch gewollt«, sagte sie ganz leise und verschämt. »Aber die Inge, die war schneller, und die hat sich was getraut. Die hat ihn rumgekriegt, und als ein Kind unterwegs war, hat er sie halt aus Anstand geheiratet. Aber die gnädige Frau war darüber sehr unglücklich. Sie hätt mit dieser Person net in einem Haus leben können. So ähnlich hat sie mir das einmal geschrieben, nur hat sie es natürlich feiner ausgedrückt. Sie ist nie mehr nach Deutschland zurückgekommen, aber sie hat viele Pakete geschickt. Die Kinder, der Arthur und die Karla, haben ihre Grandma, so haben sie sie genannt, ein paarmal besucht. Sie haben sie
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