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Das Haus am Nonnengraben

Titel: Das Haus am Nonnengraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Degen
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Getreidefelder, das helle Blau der Kornraden und das rieselnde Gelb der Goldruten. Eine Luft, wie es sie nur Anfang September gibt, klar und blau zum Trinken, die Farben ohne das Mehlige des Sommers, die Schattenkonturen deutlich, doch weich.
    Hanna hatte den runden, sonnenüberglitzerten See am Ende des Weges ohne Mühe gefunden. Das dunkle Wasser war tatsächlich an der Oberfläche noch erstaunlich warm gewesen, auch wenn es darunter erschreckende kalte Strömungen gegeben hatte. Hanna glitt nackt hinein. Nackt schwimmen war für sie die Wonne schlechthin. Sie fühlte sich geborgen und schwerelos und ließ sich auf dem Rücken treiben mit dem Blick im unendlichen Himmel. Es war ganz still, nur hin und wieder ein Plätschern, wenn sie sich bewegte oder ein Fisch sprang. In den Büschen am See tschilpte hell ein Vogel. Einmal hatte ein Traktor im Wald getuckert. Danach war die Stille noch intensiver gewesen.
    Jetzt fuhr sie mit ihrem kleinen Golf durch diese zauberhafte Landschaft auf Bad Wiessee zu. Die Berge lagen als klare Linien vor dem goldenen Himmel, Goldstaub hier auf einem Dach, dort an einer Holzwand – schimmernd die ganze Welt. Der sanfte müde Finger der Sonne strich über Zaunlatten und ließ sie glänzen. Das zufriedene dunkle Muhen der gemolkenen Kühe in den Ställen mischte sich in die helleren Glocken der Draußengebliebenen, einmal ergänzte das Bimmeln einer Kapelle die Töne zum Dreiklang. Weiche, würzige Luft strich durch die offenen Autofenster. Hanna fuhr ganz langsam, um das Glück nicht zu stören. Oben am Hang blieb sie stehen, stieg aus und schaute. Lange, um so viel wie möglich von diesem Licht in sich aufzusaugen. Nach und nach bekam die Kupferplatte des Tegernsees kleine schwarze Löcher im Schatten der Wellen. Es wurde langsam dunkel.
    Also stieg sie wieder ins Auto und fuhr hinunter in den Ort, der am See entlangwucherte. Viel Geld war da zu sehen. Das Kasino war eine Enttäuschung. Hanna hatte Glamour und Glitzer erwartet, wenigstens falschen: Strass und dritte Zähne, Champagner und angeklebte Wimpern. Nichts davon, stattdessen ein geschäftiges Hin und Her. Hanna war eindeutig zu elegant gekleidet. Sie fragte die beiden Aufsichtsbeamten im Vorraum der großen Spielhalle nach den Regeln; sie sei das erste Mal hier und fühle sich etwas hilflos. Aber die beiden abgebrühten älteren Herren ließen sich von ihrem Charme nicht einwickeln und empfahlen ihr nüchtern, sich einfach umzusehen; sie würde es dann schon lernen. Sie befolgte den Rat, ging im Saal von Tisch zu Tisch, sah zu. Dennoch dauerte es eine Weile, bis sie erkannte, dass die einzigen wirklich gut gekleideten Männer, die in den schwarzen Anzügen und Fliegen, die Croupiers waren, drei an jedem Tisch, dazu auf erhöhten Stühlen die Saalchefs. Dazwischen überwiegend Männer, Männer in Straßenanzügen und Krawatte, viele sahen asiatisch oder arabisch aus. Einige erstaunlich biedere Frauen, Nachbarinnen von nebenan. Eine in einer Art Trainingsanzug, mit wirren Haaren. Ein Geruch von Einsamkeit dümpelte zwischen den Menschen, sie sahen sich nicht an, keiner lächelte, es wurde nur wenig gesprochen. Eine Frau in einem blauen Kirchenvorstandsgattinnenkostüm bekam an jedem Tisch Streit mit den Croupiers. Sonst hörte Hanna vor allem das Klappern der Chips.
    Anfangs begriff sie nicht, was da vor ihren Augen auf den grünen Tischen geschah. Verwirrende Haufen bunt gefärbter Plastikplättchen lagen zwischen den aufgemalten Linien oder darauf, dann rollte die Kugel, sprang herum, blieb in einer Vertiefung liegen. Die Croupiers holten mit ihren Rechen die meisten Chips zu sich, sortierten sie in Kästchen.
    Allmählich verstand sie einige der Regeln und begann vorsichtig, die ersten Chips zu setzen. Sie gewann häufig bei den einfachen Chancen und beim Dutzend, verlor aber, als sie mit höherem Risiko setzte. Nach einer knappen Stunde hatte sie zu ihren hundert Euro Einsatz fünfundfünfzig Euro dazugewonnen, und das Spiel begann ihr Spaß zu machen. Sie riskierte etwas mehr, verlor, gewann dann wieder. Sie zählte gerade ihr Plastikvermögen, als ein Mann neben ihr zwei Fünfhunderter auf den Tisch warf. Der Croupier gab ihm dafür Chips, die der Mann hastig über die Felder verteilte – all das, während die Kugel schon rollte. Eine Sekunde später war von den tausend Euro fast nichts mehr übrig; der Croupier hatte nur wenige Chips liegen gelassen, die der Mann erneut setzte. Seine Hände zitterten, gepflegte,

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