Das Haus am Nonnengraben
hellhäutige Hände, die Hanna kannte.
Also doch! Es war etwas Merkwürdiges gewesen an der Geste, mit der Joschi Schneider die Streichholzschachtel des Spielkasinos eingesteckt hatte. Hanna saß ganz still und hoffte, dass er sie nicht bemerkte. Nicht nach dem gestrigen Abend! Es war ihr nicht nur peinlich. In ihr stieg so etwas wie Furcht hoch.
Als er zum nächsten Tisch gegangen war, stand sie auf und ging zur Kasse. Sie hatte Mühe, nicht zu rennen. Der Kassenbeamte begann mit ihr zu flirten. Er machte einen Witz über die geringe Höhe des Betrags, den sie eintauschen wollte, und meinte, sie habe heute Abend ja nicht gerade die Bank gesprengt. Hanna lächelte gequält und trommelte mit den Fingern auf die Marmorplatte vor dem Schalter. Der Kassier legte hundertfünfzig Euro in Scheinen auf den Tresen, doch die Münzen waren ihm ausgegangen. Er zog einen Schlüssel aus seiner Jackentasche, schloss einen kleinen Tresor zu seinen Füßen auf, nahm zwei Rollen Münzen heraus und klopfte sie auf, alles in bayerischer Bierruhe. Hanna hätte ihn am liebsten angeschrien. Sie grapschte durch das Loch in der Glasscheibe der Kasse nach den Geldscheinen, sagte: »Behalten Sie den Rest« und hastete zur Tür. Aus dem Augenwinkel sah sie Joschi quer durch die Tische auf sich zukommen. Die verdammten hohen Absätze behinderten sie beim Laufen. Durch das riesige leere Treppenhaus und über den inzwischen dunklen Parkplatz bis zu ihrem Auto würde sie es nie schaffen. Sie eilte durch den kleinen Vorraum mit den beiden Kontrollbeamten und bog in den Gang zu den Toiletten. Als sie die Tür mit dem »D« hinter sich schloss, atmete sie erleichtert auf.
Sie stopfte die in ihrer schwitzigen Hand zerknautschten Scheine in ihr Handtäschchen, erledigte, was zu erledigen war, kämmte sich und zog sich die Lippen nach.
Joschi stand direkt vor der Tür. Er packte sie hart am Arm, schubste sie gegen die Wand und stemmte die Hände neben ihren Kopf. Seine Augen waren nur noch Schlitze. »Was tust du hier? Spionierst du mir nach?«, zischte er.
Die Angst steigerte Hannas Wut. »Sind Sie verrückt?«, schrie sie. »Lassen Sie mich sofort los!«
»Schrei nicht so!« Er presste seinen Körper gegen ihren. »Was denkst du dir eigentlich? An dem einen Abend lässt du mich mit offener Hose sitzen und am nächsten rennst du mir nach?«
Hanna versuchte ihn wegzustoßen. »Sie sollen mich loslassen!«
Vergeblich. Joschis Lippen berührten ihre beinahe. »Ich habe dir vertraut«, sagte er leise und drohend. »Ich habe tatsächlich gedacht, du bist anders als die andern.«
Hanna versuchte, mit einer schnellen Bewegung unter Joschis Armen wegzutauchen. Doch er fing sie sofort wieder ein.
Die Schritte eines Wachmanns klatschten über den Gang. »Was ist denn hier los?«, rief er alarmiert.
Joschi steckte die Hände in die Hosentaschen und zuckte die Schultern. Der Wachmann sah Hanna fragend und erstaunt an. Sie strich ihr Kleid glatt und sagte, so ruhig sie konnte: »Dieser Herr belästigt mich.«
»Herr Dr. Schneider belästigt Sie? Das kann doch nicht sein! Ich kenne den Herrn Doktor seit vielen Jahren, und er …«
In einem Wandspiegel sah Hanna, wie Joschi hinter ihrem Rücken einen verständnisinnigen Blick mit dem Wachmann tauschte und ihm, mit der Hand vor seiner Stirn hin- und herwedelnd, zu verstehen gab, dass sie nicht ganz dicht sei.
Der Mann machte einen Schritt auf sie zu. »Haben Sie eine Forderung an die Frau?«, fragte er Joschi beflissen.
Joschi zupfte seine Manschetten zurecht. »Ach, lassen Sie sie gehen. Es lohnt sich nicht«, sagte er großmütig.
Hanna zitterte vor Zorn. Sie hätte diesen Scheißkerl erwürgen mögen. Dennoch gelang es ihr, leidlich würdevoll und langsam die glatte Marmortreppe hinunterzukommen. Erst in der Dunkelheit vor der Tür, dort, wo das Licht des Eingangs versickerte, zog sie ihre Schuhe aus und rannte über den endlosen finsteren Parkplatz zu ihrem Auto.
Auf der Heimfahrt entspannte sie sich langsam. Sie schaltete das Radio ein, und allmählich nahm sie die Schönheit der Nacht um sich herum wahr. Unter dem dicken samtenen Himmel mit großen Sternen hing ein Mond, der viel Licht gab. Die sanft geschwungenen, silberübergossenen Weiden, die Zäune mit den Mondlichtschatten, die Lichter vereinzelter Höfe. Und auch mit dem Ergebnis ihrer Nachforschungen war sie nicht ganz unzufrieden. Immerhin wusste sie jetzt, dass Joschi ein Spieler war – nach dem, was sie gesehen hatte, nicht unbedingt
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