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Das Haus am Nonnengraben

Titel: Das Haus am Nonnengraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Degen
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gern.«
    »Wer saß hier am Tisch und wurde mit Eierlikör besänftigt?«
    Tante Kunigunde errötete erneut. »Der Herr Ernst. Alle nannten ihn nur den ›kleinen Herrn Ernst‹, weil er wirklich ziemlich klein ist. Er ist der Vorarbeiter bei der Firma Simanc, du weißt schon, die Dachdeckerfirma in der Memmelsdorfer Straße. Er machte damals alles dort, brachte Aufträge bei, organisierte den Einkauf, überwachte die Ausführung, alles. Er schien mir der gute Geist des Betriebs zu sein. Der alte Chef war ja eine ziemliche Niete, das Geschäft ging nur, weil er fast nie da war. Aber der junge Simanc soll anders sein, habe ich gehört.«
    »Du meinst also, dein Herr Ernst müsste auch über die Einzelheiten des Auftrags bei Elfi Rothammer Bescheid wissen?«
    »Er ist nicht ›mein‹ Herr Ernst«, sagte Tante Kunigunde verstimmt. »Aber wenn einer Bescheid weiß, dann er.«
    Hanna hätte ihre Tante gern noch ein wenig aufgezogen. Die Vorstellung war himmlisch: Tante Kunigunde und der schimpfende »kleine Herr Ernst« im blauen Arbeitsoverall beim Eierlikör in diesem Zimmer mit den polierten Möbeln und den Spitzenvorhängen und der tickenden Uhr und dem Blick auf das Brückenrathaus. Doch sie hatte das Gefühl, dass sie schwankenden Boden betrat und dass Tante Kunigunde es wohl nicht so lustig finden würde. Also fragte sie nur ganz sachlich: »Wo könnte ich Herrn Ernst denn wohl erreichen? Ist er noch bei der Firma Simanc?«
    Diesen Herrn Ernst, dem es gelang, Tante Kunigunde zum Erröten zu bringen, wollte sie jedenfalls gern kennenlernen. Und vielleicht erfuhr sie dabei ja etwas, was sie Benno abends als kleines Mitbringsel servieren konnte.
    »Ich glaube schon«, sagte Tante Kunigunde. »Er ist sieben Jahre jünger als ich, also hat er das Rentenalter noch nicht ganz erreicht. Fahr doch vorbei und frag nach ihm. Und … und nimm ihm eine Flasche von meinem Eierlikör mit.«
     
    Hanna holte ihr Auto von der Schranne und parkte es in ihrem Hof. Dann packte sie ihr Köfferchen aus und bestückte die Waschmaschine. Eigentlich gehörte dieser Nachmittag noch zu ihrem Miniurlaub, doch sie wollte wenigstens die spärlichen Erkenntnisse aus den Unterlagen von Herrn Dechant in ihr Kellerkataster einarbeiten. Aber das hatte noch etwas Zeit bei dem schönen Wetter. Also setzte sie sich an den Tisch in ihrem kleinen Gärtchen zwischen Haus und Wasser, um die Post zu öffnen und die Zeitungen nachzulesen. Der Fränkische Tag hatte am Dienstag ausführlich über den Mord berichtet, allerdings ohne zu erwähnen, wer die Leiche gefunden hatte. Offenbar hatte Benno sie nicht genannt, um ihr unangenehme Fragen zu ersparen. Ihr Artikel über das Haus am Nonnengraben kam wirklich gut heraus, mit Bildern von früher und heute im Vergleich. Auch in den Ausgaben von Mittwoch und Donnerstag fanden sich kleinere Berichte zu dem Mord, in denen aber eigentlich nur stand, dass die Polizei noch keine Spur habe. Mangels anderer Erkenntnisse wurde häufig aus ihrem Artikel zitiert, was sie mit Befriedigung erfüllte.
    Doch zwischendurch schweiften ihre Gedanken immer wieder von der Lektüre ab, weil sich Benno zwischen die Zeilen drängte. Sie verschränkte die Hände im Nacken, schloss die Augen und ließ die Sonne auf ihrem Gesicht spazieren gehen. Die Zeitung glitt auf den Boden, und sie ließ sie liegen. Hanna stellte sich vor, wie es wäre, hier mit Benno … Frühstück im Sonnenschein zum Beispiel, oder abends, beim Geläut der Glocken (»Wenn die Mücken einen auffressen«, sagte Anna diabolica) … Nein, Schluss jetzt. Sie konnte nicht ewig so vor sich hin träumen. Der große Ast der Kletterrose an der Hausfassade musste dringend angebunden werden. Sie holte die Leiter aus dem Kellerraum unter dem hinteren Teil des Häuschens, lehnte sie an die Fassade und befestigte den Ast am unteren Ende des Balkongitters. Das muss ich auch mal wieder streichen, dachte sie. Vielleicht habe ich am Wochenende Zeit dafür. Deshalb trug sie die Leiter nicht in den Keller zurück, sondern legte sie in das offene, von Arkadenbögen umgebene Untergeschoss des Hauses.
    Dann holte sie ihren Laptop. Sie war es gewohnt, gesehen zu. werden, wenn sie sich in ihrem Garten aufhielt. Auf der anderen Seite des Flusses flanierten ständig Touristengruppen vorbei und schauten herüber nach Klein-Venedig. Der Fluss war breit genug, um Geschehen und Personen zu anonymisieren. Für die da drüben war sie nichts als eine Puppe, die sich vor einer malerischen Kulisse

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