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Das Haus Am Potomac

Das Haus Am Potomac

Titel: Das Haus Am Potomac Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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sie am Telefon auf die
Flugreservierung wartete; ganze sieben Minuten lang hörte
sie das »Bitte warten Sie« und eine Musikkonserve, die in
ihrer Auswahl besonders schlecht war, bis sich endlich
eine Angestellte meldete. Sie buchte einen Flug für vier
Uhr vierzig nach Albany und einen Mietwagen.
    Sie beschloß, die wenigen Stunden, die ihr bis zu ihrem
Abflug blieben, damit zu verbringen, die Sachen ihres
Vaters zu sichten.
    Sie zog langsam die Laschen des ersten Kartons
auseinander und blickte plötzlich auf ein staubbedecktes
Bild von einem großen lachenden Mann mit einem Kind
auf der Schulter. Das Kind hatte ganz große Augen vor
Vergnügen; der Mund war halb geöffnet und lächelte.
Seine Handflächen waren einander zugedreht, als hätte es
gerade in die Hände geklatscht. Der Mann und das Kind
hatten Badesachen an und saßen am Rande des Wassers.
Hinter ihnen brach sich eine Welle. Es war
Spätnachmittag. Die Schatten auf dem Sand waren in die
Länge gezogen.
    Daddys kleiner Liebling, dachte Pat bitter. Sie hatte
schon häufiger Kinder auf den Schultern ihrer Väter sitzen
sehen, hatte beobachtet, wie die Kleinen sich am Hals
festklammerten oder sich mit den Fingern sogar im Haar
festkrallten. Die Furcht, hinzufallen, war ein Urinstinkt.
Aber das Kind auf diesem Bild, das Kind, das sie einmal
gewesen war, hatte eindeutig darauf vertraut, daß der
Vater es festhielt, daß er es nicht hinfallen ließ. Sie legte
das Bild auf den Boden und packte den Karton weiter aus.
    Als sie damit fertig war, war der Teppich bedeckt von
Erinnerungsstücken aus dem Privatbüro des
Kongreßabgeordneten Dean Adams. Ein herkömmliches
Porträtfoto von ihrer Mutter am Klavier. Sie war schön,
dachte Pat – ich ähnele ihm mehr. Eine Collage von
Schnappschüssen von Pat als Baby und Kleinkind, die bei
ihm im Büro an der Wand gehangen haben mußte; sein
Terminkalender, in dunkelgrünes Leder gebunden und mit
goldenen Initialen; sein silbernes Schreibzeug, das nun
schrecklich angelaufen war; sein gerahmtes Diplom von
der University of Wisconsin, ein mit Auszeichnung
bestandenes Bakkalaureat in Englisch; die Urkunde von
der juristischen Fakultät der University of Michigan mit
seiner Ernennung zum Bachelor of Laws; ein Lob von der
Bischofskonferenz der Episkopalkirche für seinen
großzügigen und rückhaltlosen Einsatz für Minderheiten;
eine Mann-des-Jahres-Plakette vom Rotary Club in
Madison, Wisconsin. Er mußte wohl ein Liebhaber von
Seestücken gewesen sein; es gab mehrere alte Stiche von
Segelschiffen auf den Wogen wild aufgewühlten Wassers.
    Sie schlug seinen Terminkalender auf. Er war ein
Kritzler gewesen; fast auf jeder Seite waren Kringel,
Spiralen und geometrische Figuren. Von ihm habe ich also
diese Angewohnheit, dachte Pat.
    Ihre Augen kehrten immer wieder zu dem Bild von ihr
selbst mit ihrem Vater zurück. Sie strahlte so vor Glück.
Ihr Vater blickte mit so viel Liebe zu ihr hinauf. Er hielt
sie mit sicherem Griff am Arm fest.
    Das Telefon zerstörte den Zauber. Sie rappelte sich auf
und erkannte mit Schrecken, daß es schon spät war, daß
sie das alles wieder wegräumen und noch schneller eine
Reisetasche packen müßte.
    »Pat.«
Es war Sam.
»Hallo.« Sie biß sich auf die Lippe.
»Pat, ich habe es eilig, wie immer. Ich habe in fünf
    Minuten eine Komiteesitzung. Am Freitagabend wird zu
Ehren des neuen kanadischen Premierministers im Weißen
Haus ein Essen gegeben. Hättest du Lust, mit mir daran
teilzunehmen? Ich müßte dem Weißen Haus deinen
Namen telefonisch durchgeben.«
    »Im Weißen Haus! Das wäre herrlich. Dazu hätte ich
große Lust.« Sie schluckte heftig, um das Zittern in ihrer
Stimme zu unterdrücken.
    Sein Ton änderte sich. »Pat, ist irgend etwas nicht in
Ordnung? Du wirkst außer Fassung. Du weinst doch
nicht?«
    Schließlich hatte sie das Zittern in ihrer Stimme unter
Kontrolle. »Oh nein. Bestimmt nicht. Ich glaube, ich
bekomme nur eine Erkältung.«

7
    Am Flughafen Albany ging Pat ihren Mietwagen holen,
studierte zusammen mit dem Hertz-Angestellten die Karte
und überlegte, welche Strecke sie am besten nach Apple
Junction fuhr, das siebenundzwanzig Meilen entfernt war.
    »Sie sollten lieber gleich aufbrechen«, warnte der
Angestellte. »Wir sollen heute abend an die dreißig
Zentimeter Schnee kriegen.«
    »Können Sie mir einen Rat geben, wo ich am besten
absteige?«
»Wenn Sie direkt im Ort wohnen wollen, dann im Apple

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