Das Haus Am Potomac
Motel.« Er grinste. »Aber das ist nichts Schickes, wie es
das im Big Apple* 1 gibt. Sie brauchen nicht vorher
anzurufen, um sich ein Zimmer reservieren zu lassen.«
Pat nahm den Autoschlüssel und ihre Reisetasche. Das
klang nicht eben verheißungsvoll, aber sie bedankte sich
trotzdem bei dem Mann.
Die ersten Flocken fielen, als sie in die Einfahrt des
tristen Gebäudes mit dem flackernden NeonSchriftzeichen APPLE MOTEL fuhr. Wie der HertzAngestellte richtig vorausgesagt hatte, war das ZIMMERFREI-Zeichen eingeschaltet.
Der Mann in dem winzigen, unordentlich vollgestopften
Büro war in den Siebzigern. Eine Drahtgestellbrille hing
ihm auf die schmale Nase herab. Tiefe Furchen fältelten
seine Wangen. Büschel grauweißen Haares sprossen ihm
aus dem Schädel. Seine wässerigen und glanzlosen Augen
leuchteten auf, als Pat die Tür aufstieß.
»Haben Sie ein Einzelzimmer frei für ein oder zwei
Nächte?« fragte sie.
Sein Lächeln enthüllte eine abgenutzte, tabakverfärbte
Gaumenplatte. »Für solange, wie Sie wollen, Miss; Sie
können ein Einzelzimmer haben, ein Doppelzimmer, sogar
die Präsidenten-Suite.« Ein wieherndes Gelächter folgte.
Pat lächelte höflich und nahm eine Meldekarte. Die
Blankostelle hinter BERUFLICH TÄTIG IN ließ sie
absichtlich unausgefüllt. Sie wollte sich, soviel wie
möglich, alleine umsehen, bevor der Grund für ihr
Hiersein bekannt wurde.
Der Mann sah sich die Karte, enttäuscht vor Neugier, an.
»Ich gebe Ihnen das erste Zimmer«, sagte er. »Dann sind
Sie nahe am Empfang, falls es richtig schlimm wird mit
dem Schnee. Wir haben hier eine Art Frühstücksecke.« Er
deutete auf drei kleine Tische an der Rückwand. »Haben
immer Saft und Kaffee und Toast, damit Sie morgens in
Schwung kommen.« Er blickte sie durchtrieben an. »Was
führt Sie eigentlich hierher?«
»Geschäfte«, antwortete Pat und fuhr schnell fort: »Ich
habe noch nicht zu Abend gegessen. Ich will nur schnell
die Tasche im Zimmer abstellen, und vielleicht können Sie
mir sagen, wo ich ein Restaurant finde.«
Er schielte nach der Uhr. »Da sollten Sie lieber schnell
machen. Das Lamplighter schließt um neun, und jetzt ist
es schon fast acht. Wenn Sie aus der Ausfahrt kommen,
nach links und zwei Blocks weiter wieder links auf die
Main Street. Es ist auf der rechten Seite. Nicht zu
übersehen. Hier ist Ihr Schlüssel.« Er sah auf der
Meldekarte nach. »Miss Traymore«, setzte er hinzu.
»Mein Name ist Travis Blodgett. Mir gehört der Laden
hier.« In seiner Stimme mischten sich Stolz und
Entschuldigung. Ein leichtes Keuchen ließ auf ein
Lungenemphysem schließen.
Bis auf ein Kino mit trübe beleuchtetem Eingang war
das Lamplighter das einzige Haus, das im Geschäftsviertel
von Apple Junction noch offen war. Auf einer
schmierigen, von Hand getippten Speisekarte, die an der
Eingangstür aushing, stand als Tagesgericht Sauerbraten
mit Rotkohl zu einem Preis von $3.95. Drinnen lag ein
altersstumpfer Linoleumboden. Die karierten Tischtücher
der etwa zwölf Tische waren zum Teil mit ungebügelten
Servietten überdeckt – wahrscheinlich, so nahm sie an, um
Flecken zu verdecken, die andere Gäste hinterlassen
hatten. Ein älteres Paar kaute geräuschvoll ein dunkel
aussehendes Fleisch von überladenen Tellern. Aber der
Duft war verführerisch, und ihr wurde klar, daß sie großen
Hunger hatte.
Die einzige Kellnerin war eine Frau Mitte fünfzig. Unter
der einigermaßen sauberen Schürze ließen ein dicker
orangefarbener Pullover und formlose Hosen gnadenlos
Speckrollen sichtbar werden. Doch sie hatte ein schnelles,
sympathisches Lächeln. »Sind Sie allein?«
»Ja.«
Die Kellnerin blickte sich zweifelnd um, dann führte sie
Pat an einen Tisch in der Nähe des Fensters. »Da können
Sie hinausschauen und die Aussicht genießen.«
Pat spürte, wie ihre Lippen zuckten. Die Aussicht! Ein
Mietwagen auf einer tristen Straße! Dann schämte sie sich
ihrer selbst. Das war genau die Reaktion, die sie von
Luther Pelham erwartet hätte.
»Möchten Sie etwas trinken? Wir haben Bier und Wein.
Und ich glaube, Sie sollten auch lieber gleich bestellen. Es
ist schon spät.«
Pat bestellte Wein und bat um die Karte.
»Ach, in die Karte brauchen Sie nicht zu schauen«,
drängte die Kellnerin. »Versuchen Sie den Sauerbraten. Er
ist wirklich gut.«
Pat blickte quer durchs Lokal. Offenbar war das das
Gericht, das dies ältere Paar aß. »Wenn Sie mir eine halbe
Portion davon geben
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