Das Haus Am Potomac
die sie bei
Männern bewirkt. Mit wem hat sie nun gerade ein
Techtelmechtel?«
»Sie hat mit niemandem ein Techtelmechtel«, erwiderte
Pat. »Nach allem, was sie mir gesagt hat, war ihr Mann die
große Liebe ihres Lebens.«
»Mag sein.« Jeremy Saunders kippte den letzten Rest
seines Drinks hinunter. »Und wenn man bedenkt, daß sie
ganz und gar nicht die richtigen Voraussetzungen
mitbrachte – einen Vater, der sich zu Tode soff, als sie
sechs war, und eine Mutter, die es zufrieden war, zwischen
Töpfen und Pfannen zu wirken …«
Pat beschloß, es auf andere Weise zu versuchen, an
brauchbares Material heranzukommen. »Erzählen Sie mir
von diesem Haus«, schlug sie vor. »Schließlich ist Abigail
hier aufgewachsen. Wurde es von Ihrer Familie erbaut?«
Jeremy Saunders war sichtlich stolz auf beides, sowohl
auf das Haus als auch auf seine Familie. In der nächsten
Stunde berichtete er ihr über die Geschichte der Saunders’,
von der Einwanderung »nicht direkt mit der Mayflower –
an der historischen Reise sollte zwar ein Saunders’
teilnehmen, aber er wurde krank und kam dann erst zwei
Jahre später« – bis hin zur Gegenwart, wobei er nur
einmal eine Pause einlegte, um sein Glas nachzufüllen und
eine neue Kanne des Drinks zu mixen. »Und so«, endete
er, »muß ich voll Trauer gestehen, daß ich der letzte sein
werde, der den Namen Saunders trägt.« Er lächelte. »Sie
können sehr gut zuhören, meine Liebe. Ich hoffe, ich war
nicht zu langweilig in meiner Erzählung.«
Pat erwiderte sein Lächeln. »Nein, überhaupt nicht. Die
Familie meiner Mutter gehörte auch zu den ersten
Siedlern, und ich bin sehr stolz auf sie.«
»Lassen Sie mich von Ihrer Familie hören«, sagte
Jeremy galant. »Sie bleiben doch zum Essen?«
»Sehr gerne.«
»Ich ziehe es vor, mir alles auf einem Tablett
hierherbringen zu lassen. Es ist hier so viel gemütlicher als
im Eßzimmer. Wäre Ihnen das recht?«
Und so viel näher bei der Bar, dachte Pat. Sie hoffte, die
Unterhaltung bald wieder auf Abigail lenken zu können.
Die Gelegenheit dazu bot sich, als sie so tat, als nippe sie
an dem Wein, den es auf Jeremys Beharren hin zu dem
lieblos servierten Hühnersalat gab.
»Er hilft einem, das Zeug hinunterzuspülen, meine
Liebe«, meinte er. »Wenn meine Frau nicht da ist, gibt
Anna, fürchte ich, nicht gerade ihr Bestes. Nicht so wie
Abbys Mutter. Francey Foster setzte ihren Stolz in alles,
was sie machte. Das Brot, die Kuchen, die Soufflés …
Kocht Abby?«
»Ich weiß nicht«, antwortete Pat. Ihre Stimme nahm
einen vertraulichen Ton an. »Mr. Saunders, ich kann mir
nicht helfen, ich habe die ganze Zeit das Gefühl, daß Sie
auf die Senatorin wütend sind. Irre ich mich? Ich hatte den
Eindruck, daß Sie einander mal sehr zugetan waren.«
»Wütend auf sie? Wütend?« Seine Stimme war belegt,
seine Worte kamen undeutlich. »Wären Sie nicht wütend
auf jemanden, der sich vorgenommen hat, Sie lächerlich
zu machen – und dem das großartig gelungen ist?«
Das war es – der Moment, den es so häufig in ihren
Interviews gab, wenn die Leute ihre vorsichtige
Zurückhaltung aufgaben und mit ihren Enthüllungen
begannen.
Sie betrachtete Jeremy Saunders prüfend. Dieser
wohlgenährte, übersättigte, betrunkene Mann in seiner
lächerlichen förmlichen Kleidung quälte sich mit einer
schrecklichen Erinnerung herum. Da waren sowohl
Schmerz als auch Wut in diesen ehrlichen Augen, dem zu
weichen Mund, dem weichlichen, dicklichen Kinn.
»Abigail«, sagte er ruhiger. »US-Senatorin von
Virginia.« Er verbeugte sich kunstvoll. »Meine liebe
Patricia Traymore, Sie haben die Ehre, mit ihrem früheren
Verlobten zu reden.«
Pat bemühte sich ohne Erfolg, ihre Überraschung zu
verbergen. »Sie waren mit Abigail verlobt ?«
»In dem letzten Sommer, als sie hier war. Natürlich nur
sehr kurz. Nur lange genug für ihren genau durchdachten
Plan. Sie war als Siegerin aus dem Schönheitswettbewerb
dieses Staates hervorgegangen, war aber schlau genug, um
zu wissen, daß sie es in Atlantic City nicht weiter bringen
würde. Sie hatte sich um ein Stipendium für Radcliffe
bemüht, aber ihre Noten in Mathematik und den
Naturwissenschaften waren nicht stipendiumswürdig.
Abby hatte natürlich nicht die Absicht, als Pendlerin Tag
für Tag das nächste College zu besuchen. Es war ein
schreckliches Dilemma für sie, und ich frage mich noch
immer, ob nicht Toby seine Hand dabei im Spiel hatte,
einen
Weitere Kostenlose Bücher