Das Haus an der Düne
müden Eleganz, Lichtjahre entfernt von Nicks Lebhaftigkeit.
«Sie ist sehr schön», sagte Poirot unvermittelt.
«Wer? Unsere Nick?»
«Nein, ich meine die andere. Ist sie böse? Ist sie gut? Ist sie nur unglücklich? Man kann es unmöglich sagen. Sie bleibt ein Rätsel. Vielleicht steckt am Ende auch gar nichts dahinter. Aber ich sage Ihnen eines, mein Freund, sie ist eine Unruhestifterin.»
«Was meinen Sie damit?», fragte ich gespannt.
Er schüttelte den Kopf und lächelte.
«Sie werden es früher oder später merken. Denken Sie an meine Worte.»
Daraufhin erhob er sich zu meiner Überraschung. Nick tanzte gerade mit George Challenger. Frederica und Lazarus hatten eben aufgehört zu tanzen und wieder an ihrem Tisch Platz genommen. Dann stand Lazarus auf und ging weg. Mrs Rice blieb allein zurück. Poirot ging schnurstracks auf ihren Tisch zu. Ich folgte ihm.
Er war stets sehr direkt und ohne Umschweife.
«Sie erlauben?» Er legte zunächst eine Hand auf die Lehne des Sessels und ließ sich dann elegant hineingleiten. «Es ist mir sehr wichtig, mit Ihnen ein paar Worte zu wechseln, während Ihre Freundin auf der Tanzfläche ist.»
«Ja?» Ihre Stimme klang kühl und desinteressiert.
«Madame, ich weiß nicht, ob Ihre Freundin Ihnen davon erzählt hat. Wenn nicht, werde ich es nun tun. Sie befand sich heute in Lebensgefahr.»
Die großen grauen Augen weiteten sich vor Schrecken und Überraschung. Ihre schwarzen Pupillen wurden noch größer als sie ohnehin schon waren.
«Was wollen Sie damit sagen?»
«Man hat im Garten dieses Hotels auf Miss Buckley geschossen.»
Sie lächelte ganz plötzlich – ein sanftes, ein mitleidiges, ein ungläubiges Lächeln. «Hat Nick Ihnen das erzählt?»
«Nein. Zufällig war ich Augenzeuge. Hier ist die Kugel.» Er hielt sie ihr entgegen und sie wich ein wenig zurück. «Ja, aber dann – dann…»
«Ist es kein Hirngespinst von Mademoiselle, wie Sie sehen. Dafür bürge ich. Und es kommt noch besser. In den letzten paar Tagen passierten mehrere seltsame Unfälle. Sie haben sicher davon gehört – oder nein, vielleicht auch nicht. Sie sind erst gestern angekommen, nicht wahr?»
«Ja – gestern.»
«Soviel ich weiß, haben Sie vorher Freunde besucht. In Tavistock.»
«Ja.»
«Ich wüsste zu gerne, Madame, wie diese Freunde heißen.» Sie zog die Augenbrauen hoch.
«Sehen Sie irgendeinen Grund, wieso ich Ihnen das sagen sollte?», fragte sie kühl.
Poirot tat völlig unschuldig und überrascht.
«Tausendmal Vergebung, Madame. Das war höchst unschicklich. Aber da ich selbst auch Freunde in Tavistock habe, bildete ich mir ein, Sie müssten sie auch kennen… Buchanan heißen meine Freunde.»
Mrs Rice schüttelte den Kopf.
«Kommt mir nicht bekannt vor. Ich glaube nicht, dass ich sie getroffen habe.» Ihr Ton war nun relativ herzlich. «Reden wir nicht mehr über irgendwelche langweiligen Leute. Reden wir lieber über Nick. Wer hat auf sie geschossen? Und warum?»
«Wer, weiß ich nicht – jedenfalls bis jetzt nicht», sagte Poirot. «Aber ich werde es herausfinden. Oh ja, und ob ich es herausfinden werde. Ich bin nämlich Detektiv. Mein Name ist Hercule Poirot.»
«Ein sehr berühmter Name.»
«Madame sind zu freundlich.»
Sehr bedächtig fragte sie: «Was soll ich tun?»
Ich glaube, damit hat sie uns beide verblüfft. Das hatten wir weiß Gott nicht erwartet.
«Ich bitte Sie, Madame, auf Ihre Freundin Acht zu geben.»
«Das werde ich tun.»
«Das ist alles.»
Er stand auf, verbeugte sich knapp und wir gingen an unseren eigenen Tisch zurück.
«Poirot», wandte ich ein, «spielen Sie Ihr Blatt nicht zu offen?»
«Was bleibt mir übrig, mon ami? Dem Spiel fehlt es an Finesse, ich muss auf Nummer sicher gehen. Ich kann kein Risiko eingehen. Eines hat sich jedoch ganz klar herausgestellt.»
«Und das wäre?»
«Mrs Rice war nicht in Tavistock. Wo war sie? Ich werde es herausfinden. Unmöglich, einem Hercule Poirot Hinweise vorzuenthalten. Sehen Sie nur – der schöne Lazarus ist wieder da. Sie erzählt ihm von uns. Er sieht herüber. Das ist ein ganz Schlauer. Sehen Sie sich nur seine Kopfform an. Ah! Wenn ich nur wüsste…»
«Was denn?», fragte ich, als er Luft holte.
«Was ich am Montag wissen werde», erwiderte er vieldeutig.
Ich sah ihn an, sagte aber nichts. Er seufzte.
«Die Neugier quält Sie nicht mehr, mein Freund. In früheren Zeiten…»
«Bestimmten Vergnügen», entgegnete ich in eisigem Ton, «sollte man besser irgendwann
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