Das Haus an der Düne
durchaus nicht unmöglich. Scarborough wurde erwähnt – aber Maggie war auch dort gewesen, mit Nick – das hatte mir ihre Mutter erzählt.
Und es wäre die Erklärung für noch etwas, was mich stutzig gemacht hatte. Wieso gab es nur so wenige Briefe? Wenn ein Mädchen seine Liebesbriefe aufbewahrt, dann bewahrt sie doch alle auf. Wieso nur eine kleine Auswahl? Waren sie etwas Besonderes?
Auf einmal fiel mir ein, dass in keinem der Briefe ein Vorname benutzt wird. Die Anrede war zwar immer anders, aber stets eine Koseform. Niemals tauchte der eigentliche Name auf – Nick.
Und es gab noch etwas, was mir sofort hätte auffallen müssen – etwas, das die Wahrheit laut herausschrie.»
«Was war das?»
«Folgendes. Mademoiselle Nick unterzog sich am 27. Februar einer Blinddarmoperation. Es gibt einen Brief von Michael Seton vom 2. März, in dem weder Sorge anklingt noch von Krankheit oder Krankenhaus die Rede ist. Da hätte ich eigentlich merken müssen, dass die Briefe an eine ganz andere Person als Nick gerichtet waren.
Und dann ging ich nochmals meine Fragen durch. Allerdings beantwortete ich sie jetzt im Licht meiner neuen Erkenntnisse.
Bei allen, außer wenigen einzelnen Fragen, war das Ergebnis einfach und überzeugend. Auch eine weitere noch offene Frage wurde so beantwortet: Warum kaufte sich Mademoiselle Nick ein schwarzes Kleid? Die Antwort war ganz einfach. Sie und ihre Cousine mussten ähnlich gekleidet sein, mit dem scharlachroten Schal als Farbtupfer. Das war die einzig richtige Erklärung, nicht die andere. Kein Mädchen kauft sich Trauerkleidung, bevor sie von dem Tod ihres Liebsten erfährt. Das wäre unrealistisch – unnatürlich.
Und so habe ich im Gegenzug mein kleines Drama inszeniert. Und es ist so verlaufen, wie ich es erhofft habe! Nick Buckley hatte sehr heftig auf die Frage nach dem Geheimfach reagiert. Sie behauptete, so etwas gebe es nicht. Aber wenn es nun doch eines gäbe – und warum hätte Ellen es erfinden sollen? –, musste Nick es kennen. Warum reagierte sie dann so heftig? Hatte sie möglicherweise die Pistole dort versteckt? Mit der heimlichen Absicht, später damit den Verdacht auf jemand anders zu lenken?
Ich gab ihr zu verstehen, dass es für Madame ziemlich düster aussehe. Genau das hatte sie geplant. Und wie ich vermutete, konnte sie nicht widerstehen, den krönenden Beweis zu liefern. Außerdem war es so sicherer für sie selbst. Ellen könnte das Geheimfach entdecken und damit auch die Pistole!
Wir sitzen alle schön versammelt hier drinnen. Sie wartet draußen auf ihr Stichwort. Da denkt sie, es ist völlig sicher, die Pistole aus ihrem Versteck zu holen und in Madames Mantel zu stecken…
Und so hat sie – zu guter Letzt – einen fatalen Fehler gemacht…» Frederica erschauerte.
«Trotz allem», sagte sie, «bin ich froh, dass ich ihr meine Uhr gegeben habe.»
«Ja, Madame.»
Sie blickte schnell zu Poirot auf. «Darüber wissen Sie auch Bescheid?»
«Was ist mit Ellen?», fragte ich dazwischen. «Wusste oder vermutete sie etwas?»
«Nein. Ich habe sie gefragt. Sie erzählte mir, sie hatte sich damals entschlossen, im Haus zu bleiben, weil sie, wie sie sich ausdrückte, ‹das Gefühl hatte, da wäre etwas im Busch›. Offensichtlich hatte Nick sie zu nachdrücklich aufgefordert, sich das Feuerwerk anzusehen. Irgendwie hat sie Nicks Abneigung gegen Madame geahnt. Sie sagte mir, ‹ich habe es in allen Knochen gespürt, dass etwas passieren würde›, aber sie glaubte, es würde Madame passieren. Sie kenne Miss Nicks Temperament, sagte sie, und sie wäre immer ein sonderbares kleines Mädchen gewesen.»
«Ja», murmelte Frederica, «ja, behalten wir sie so in Erinnerung. Ein sonderbares kleines Mädchen. Ein sonderbares kleines Mädchen, das nicht anders konnte… Das wird sie immer für mich sein.»
Poirot nahm ihre Hand und führte sie sanft an die Lippen.
Charles Vyse rutschte unbehaglich hin und her.
«Es wird eine sehr unangenehme Sache werden», meinte er ruhig. «Ich denke, ich sehe mich nach einem Verteidiger für sie um.»
«Ich glaube, das wird nicht nötig sein», sagte Poirot sanft. «Nicht, wenn meine Annahme richtig ist.»
Er wandte sich unvermittelt an Challenger.
«So haben Sie das Zeug transportiert, nicht wahr?», sagte er. «In diesen Armbanduhren.»
«Ich – ich…», stammelte der Seemann hilflos.
«Spielen Sie nicht länger den treuherzigen, prima Burschen – Ihre Masche zieht bei mir nicht. Bei Hastings ist es Ihnen
Weitere Kostenlose Bücher