Das Haus an der Düne
sollten.
Der sonnige Raum mit Seeblick hatte absolut nichts Melancholisches an sich. In seiner schäbigen Gemütlichkeit lieferten sich die Stilrichtungen ein spannendes Duell. Billige, ultramoderne Vielfalt kämpfte gegen viktorianische Behäbigkeit. Waren die Vorhänge aus verblichenem Brokat, so strahlten die Möbelbezüge neu und fröhlich bunt, während die Kissen definitiv grell waren. An den Wänden hingen, wie ich fand, recht ordentliche Familienporträts. Neben dem Grammofon lagen willkürlich verstreut einige Schallplatten. Es gab ein Kofferradio, praktisch keine Bücher, nur eine Zeitung lag aufgeschlagen auf dem Sofa. Poirot nahm sie in die Hand – und legte sie mit einem abfälligen Gesichtsausdruck wieder zurück. Es war der St. Loo Herald. Irgendetwas veranlasste ihn, sie ein zweites Mal aufzunehmen, und er widmete sich gerade einem Artikel, als die Tür aufging und Nick Buckley den Raum betrat.
«Ellen, bringen Sie das Eis», rief sie über die Schulter und kam dann auf uns zu.
«Also, hier bin ich – die anderen habe ich abgeschüttelt. Ich sterbe vor Neugierde. Bin ich etwa die lang gesuchte Heldin für einen Film? Sie waren so ernst und feierlich» – damit wandte sie sich an Poirot –, «dass es gar nichts anderes sein kann. So machen Sie mir doch schon ein anständiges Angebot.»
«Ach, wie schade, Mademoiselle…», setzte Poirot an.
«Sagen Sie bloß nicht, es handelt sich um das Gegenteil», insistierte sie. «Sagen Sie jetzt nicht, Sie malen Miniaturen und möchten, dass ich eine kaufe. Aber nein, unmöglich – mit diesem Schnurrbart und als Gast im M a jestic, dem Hotel mit dem scheußlichsten Essen und den höchsten Preisen in ganz England – nein, das kann einfach nicht sein.»
Die Frau, die uns die Tür geöffnet hatte, kam mit Eiswürfeln und einem Tablett voller Flaschen. Nick mixte mit geübter Hand die Cocktails und redete dabei ununterbrochen. Ich glaube, dass Poirots Schweigen, für ihn so untypisch, schließlich doch Eindruck auf sie machte. Sie unterbrach sogar das Eingießen und fragte kurz angebunden: «Also gut?»
«Genau das wünsche ich Ihrer Gesundheit – möge sie gut sein, Mademoiselle.» Er nahm seinen Cocktail. «Auf Ihre Gesundheit, Mademoiselle – möge sie auch weiterhin anhalten, Ihre Gesundheit.»
Das Mädchen war kein Dummkopf. Sein bedeutsamer Ton verfehlte nicht seine Wirkung.
«Ist – denn etwas nicht in Ordnung?»
«Ja, Mademoiselle. Allerdings. Zum Beispiel das hier…»
Er hielt ihr auf seiner ausgestreckten Handfläche die Kugel hin. Sie nahm sie mit einem verwunderten Stirnrunzeln auf.
«Sie wissen, worum es sich hierbei handelt?»
«Ja, sicher. Es ist eine Kugel.»
«Genau das. Mademoiselle – heute Morgen ist keine Wespe an Ihrem Gesicht vorbei geflogen – sondern diese Kugel.»
«Sie glauben doch nicht – dass irgendein Verrückter im Hotelgarten herumgeschossen hat?»
«Es sieht ganz danach aus.»
«Da soll mich doch der Teufel holen», sagte Nick ganz spontan und unverblümt. «Sieht aus, als ob ich einen tüchtigen Schutzengel hätte. Das wäre dann Nummer vier.»
«Ja», bestätigte Poirot. «Das ist Nummer vier. Mademoiselle, ich möchte über die anderen drei – nun sagen wir – Unfälle hören.»
Sie sah ihn fragend an.
«Ich möchte ganz sichergehen, Mademoiselle, dass es Unfälle waren.»
«Aber warum denn? Natürlich waren sie das. Was denn sonst?»
«Mademoiselle, ich bitte Sie, machen Sie sich auf einen großen Schock gefasst. Angenommen, es trachtet Ihnen jemand nach dem Leben?»
Nicks Reaktion bestand in einem Lachanfall. Die Vorstellung schien sie kolossal zu amüsieren.
«Eine wunderbare Idee! Mein lieber Herr, wer in aller Welt sollte mein Leben bedrohen? Ich bin nicht die schöne, junge Millionenerbin. Ich wünschte beinahe, jemand würde tatsächlich versuchen, mich zu töten – das wäre eine richtig spannende Sache –, aber ich fürchte, dazu besteht wenig Hoffnung!»
«Mademoiselle, würden Sie mir bitte von diesen Unfällen erzählen?»
«Ja, sicher – aber da gibt es nichts Besonderes. Eben einfach dumme Zufälle. Zum Beispiel das schwere Bild über meinem Bett. Es fiel in der Nacht herunter. Durch puren Zufall hörte ich irgendwo im Haus eine Tür klappern und ging hinunter, um sie zu schließen – und war so gerettet. Das Bild hätte mir wahrscheinlich den Schädel eingeschlagen. Das war Unfall Nummer eins.»
Poirot lächelte kein bisschen. «Fahren Sie fort, Mademoiselle. Gehen wir
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