Das Haus an der Klippe
ihn aber sogleich in den Nacken und lachte lauthals los.
»Das ist ja der Gipfel«, sagte sie. »Liefere ich eigentlich auch den Wein für die Gläser?«
»Es gibt keinen Grund, beleidigend zu werden«, sagte Feenie gekränkt. »Im Weinkeller meines Vaters sind noch ein paar Flaschen. Versuchen Sie doch mal den hier.«
Sie zog eine offene Flasche Bordeaux unter der Marmorbank hervor, deren Etikett schon lange unleserlich geworden war. Seine Qualität bewirkte, daß Daphne vor Entzücken die Augen aus den Höhlen traten.
»Ehrlich«, sagte sie. »Ich weiß nicht, was Ihr Vater von Bildern verstand, aber mit Weinen kannte er sich aus.«
»Er wußte, wie man Geld ausgibt«, meinte Feenie trocken. »Man fragt einfach die Experten, was das Beste ist, und kauft es dann. Vielleicht können Sie uns auch ein wenig einschenken, falls Sie sich in der Lage fühlen, ihn mit uns zu teilen. Ellie, ist das Kind schon in dem Alter, wo es einen Schluck probieren würde, oder hängst du der seltsamen englischen Sitte an, das Mindestalter für Alkoholgenuß höherzuschrauben als das für erste sexuelle Erfahrungen?«
Bevor Ellie darauf antworten konnte, sagte Rosie, die sich widerstrebend von den Hunden weg an den Tisch hatte ziehen lassen: »Bitte, Miss Macallum, ich habe das schon mal probiert, aber es schmeckt sauer und hat mich so komisch gemacht. Kann ich lieber Limonade haben?«
»Es gab mal eine Zeit, da haben Kinder erst geantwortet, wenn man sie gefragt hat. Aber das war keine besonders gute Zeit, und du hast sehr schön geantwortet, also bleib bei deiner Limonade, wenn du willst, aber sei vorsichtig mit Mrs. Aldermanns teurem Glas.«
Mrs. Stoneladys Eintopf war erwartungsgemäß köstlich. Sie wischten die Schüssel mit großen Stücken Brot aus, das zu frisch war, um sauber geschnitten zu werden, und danach legten sie in Erwartung des versprochenen Brotpuddings erst mal eine Pause ein. Zurückgelehnt in ihre wackligen Stühle, nippten sie an ihrem Wein, dessen Farbe und Charakter sich über mindestens vier Flaschen geändert hatte, die alle ohne lesbares Etikett, alle aber vorzüglich gewesen waren.
Ellie fühlte sich so wohl wie schon lange nicht mehr. Alle Schmerzen der Welt, die Nadelstiche wie Dolchstöße, erschienen nur noch wie Träume eines unruhigen Schlafs, aus dem sie schließlich erwacht war.
Sie ließ den Blick zärtlich über die Tischrunde schweifen. Was für eine bunte Gesellschaft war hier versammelt! Alter, Herkunft, Temperament, Ansichten, Beruf – was für eine Bandbreite, welche Unterschiede, und doch auch wie viel Harmonie! Sie empfand eine Welle von Zuneigung, die alle ohne Unterschied einschloß. Sogar Novello. Wenn Coleridges alter Seefahrer nicht dagegen ankonnte, die Seeschlangen zu segnen, warum sollte sie dann ein Problem mit ihr haben?
Sie lehnte sich in ihren ächzenden Stuhl zurück und lächelte wohlwollend ins Universum.
Rosie, die wie immer sehr genau die Stimmung ihrer Mutter erfaßte, fragte, ob sie nicht mit den Hunden spielen dürfe, bis der Brotpudding komme?
»Liebling, wir sind hier nicht zu Hause, wir sind Gäste von Miss Macallum. Es ist ihre Tafel. Also mußt du sie fragen, ob du aufstehen kannst.«
Rosie sah die alte Frau ängstlich an und wiederholte ohne große Zuversicht ihre Bitte.
Feenie dachte einen Augenblick nach, dann breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus.
»Natürlich kannst du aufstehen, mein Schatz. Aber geh nicht zu weit weg, sonst hörst du deine Mutter nicht rufen, wenn der Brotpudding kommt. Mrs. Stonelady macht uns nämlich ihren Brotpudding, aber falls du den nicht magst, habe ich extra für dich noch Schokoladeneis besorgt. Du kannst natürlich auch beides haben, wenn du willst.«
Rosie, die ihre Überraschung nicht verbergen konnte, sagte: »Vielen Dank, Miss Macallum« und sauste davon.
Ellie meinte weinselig: »Wirst du etwa milde auf deine alten Tage, Feenie?«
»Wenn du so viele traurige Kinder gesehen hast wie ich, dann nutzt du jede Gelegenheit, ein Lächeln auf ein junges Gesicht zu zaubern. Wir wollen nicht soviel vom Alter sprechen. Ich hoffe, daß der Zeitpunkt noch fern ist, wo meine Nachkommen mir einen Platz im Altersheim besorgen. Wie auch immer, Ellie, sei lieb zu deinem Mädchen, damit sie dir wenigstens ein gutes Heim aussucht, wenn die Zeit gekommen ist.«
Wie von einer plötzlich heraufziehenden Wolke am blauen Himmel wurde Ellies Stimmung von Gedanken an ihren Vater verdunkelt. Sie hob das Glas an die
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