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Das Haus an der Klippe

Das Haus an der Klippe

Titel: Das Haus an der Klippe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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jäh wie das Pfingstwunder, ein Wind über die Terrasse, und Ellie, die verzweifelt nach Rosie Ausschau hielt, verzweifelt nach irgend etwas Ausschau hielt, um nur nicht die zusammengesunkene Gestalt auf der Terrasse sehen zu müssen, sah, daß sich, unbemerkt von den Frauen, die glücklich in ihrem zerbrechlichen Kokon von Intimität miteinander gegessen und getrunken hatten, der Himmel im Osten glutrot verfärbt hatte und Wolken wie Streptokokken einen wütenden Infekt über eine bleifarbene, aufgewühlte See landeinwärts trieben.

Zehn
    Nieren oder Nüsse
    G awain Sempernel saß auf Ellies Bett im Nosebleed Cottage und schaltete ihren Laptop ein.
    Unter
Eigene Dokumente
gab es nur eine Datei, und die hieß »Schmusedecke«. Er öffnete sie und begann zu lesen. Er las fast so schnell, wie der Text bei gedrückter »Bild«-Taste über den Schirm lief, und bei nur wenig niedrigerer Geschwindigkeit konnte er sich alles merken, was er sah. Dieses nützliche Talent hatte die meisten seiner Lehrer in Cambridge glauben lassen, daß in ihm ein führender Altphilologe der nächsten Generation heranwachse. Doch einer von ihnen hatte gespürt, daß seine Gelehrsamkeit nur auf einem guten Gedächtnis beruhte und daß sein Forschergeist mehr von modernen Machtkämpfen und dem kalten Krieg angezogen wurde als von antiken Fehden und dem Fall Trojas. Also hatte man ihn ausgehorcht, ihm freundliche Fragen gestellt und schließlich ein zweideutiges Angebot gemacht, das ihn zu dem hatte werden lassen, was er nun war.
    Ohne dieses Angebot wäre er vielleicht der Gelehrte geworden, für den ein Großteil der akademischen Welt ihn immer noch hielt. Dann hätte er seine anderen Fähigkeiten wie etwa seine rasche Entschlußkraft und seinen gnadenlosen Opportunismus dazu benutzt, den sicheren Hafen des Rektorpostens an seinem alten College anzusteuern.
    Nun, das war noch immer möglich. Der derzeitige Rektor lag im Sterben, und sein designierter Nachfolger war bei den meisten seiner Kollegen verhaßt und überdies mit seinem Sexualleben gleich an mehreren Fronten angreifbar. Einzelheiten zu diesem Thema hatte Sempernel in einem Privatdossier gesammelt. Einige Monate zuvor hatte er bei einem Essen im College schon mal die Fühler ausgestreckt. Zwar gab es in seinem Gewerbe kein offizielles Pensionierungsalter, doch konnte er sich der Erkenntnis nicht mehr verschließen, daß er den Gipfel seiner Karriere erreicht hatte, auch wenn er nicht so weit gekommen war, wie er es aufgrund seiner Fähigkeiten verdient zu haben glaubte. Das hatte ihn ziemlich verbittert, und in gewisser Weise sollte seine persönliche Teilnahme an dieser seiner letzten Operation zeigen, daß er, Gaw Sempernel, es in der Praxis noch immer mit den besten seiner Kollegen aufnehmen konnte, die sich zum größten Teil darauf beschränkten, Anweisungen aus den Tiefen der bequemen Sessel ihrer Clubs zu geben. Und dann würde er sich selbst aus freien Stücken in einen der bequemsten Sessel der kultivierten Welt zurückziehen. Außerdem – obwohl er, der die Rationalität zur Religion erhoben hatte, es nie zugegeben hätte – gab es für ihn im Zusammenhang mit Patrick »Popeye« Ducannon und seinem Waffenversteck auch ein privates und persönliches Motiv. Durch das Fiasko an den Docks von Liverpool, das drei Menschenleben gekostet und kaum genug Waffen zutage gefördert hatte, um das Studierzimmer eines Landadligen damit auszuschmücken, war er etwas angeschlagen, und auch wenn das sicherlich kein entscheidender Faktor gewesen sein konnte, so hatten seine Feinde sich doch diesen Fehlschlag zunutze gemacht, um seinen Aufstieg von den Stufen des Throns auf den Thron selbst zu verhindern.
    Hier und da verzog er beim Lesen geringschätzig den Mund über einen kruden Anachronismus oder eine pseudopräzise Ungenauigkeit, aber im großen und ganzen fand er die Geschichte amüsant, und besonders über die Schilderung des als Mädchen verkleideten Achilles mußte er laut lachen. Genau solche Witze könnte Odysseus über den großen Helden gemacht haben, dachte er beim Weiterlesen. Und das Bild von Äneas, das folgte, schien irgendwie von Herzen zu kommen.
     
    Odysseus sah mit einiger Erleichterung, daß er den Fürsten wieder zum Lächeln gebracht hatte. Seit seiner Ankunft hatte er sich alles ins Gedächtnis zu rufen versucht, was er über Äneas wußte. Zehn Jahre Krieg geben einem Mann reichlich Gelegenheit, seine Feinde kennenzulernen. Sie hatten zwar nie persönlich

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