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Das Haus an der Klippe

Das Haus an der Klippe

Titel: Das Haus an der Klippe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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miteinander gesprochen, aber er hatte das blasse, wachsame Gesicht seines Gegenübers schon bei Unterhandlungen gesehen, er hatte beobachten können, wie er seine Truppen in den Kampf führte, und natürlich hatte er die Berichte der griechischen Spione am Hof des Priamos gelesen. Seine Zusammenfassung der Eigenschaften des Trojaners las sich folgendermaßen: Stärken – sehr mutig und zugleich sehr vorsichtig; die Tollkühnheit von Hektor oder Achilles geht ihm völlig ab; klug und umsichtig, sehr schwer zu täuschen; taktisch sehr versiert, würde seine Männer nie eine uneinnehmbare Stellung angreifen lassen, aber nicht zögern, große Verluste in Kauf zu nehmen, wenn es um etwas Wichtiges geht, steht zu Fehlern, was wahrscheinlich eine seiner größten Schwächen ist – diese Treue hat ihn davon abgehalten, sich der verrückten Politik des alten Priamos und dieses bescheuerten Hektor zu widersetzen, die jede Gelegenheit verstreichen ließen, den Krieg einfach dadurch zu beenden, daß sie Helena ihrem rechtmäßigen Ehemann zurückgaben. Weitere Schwächen: unnachgiebig, wenn es ums Prinzip geht, unempfänglich für Schmiergeld und persönliche Vorteile; starrsinnig Vorstellungen von Pflicht und Verantwortung verhaftet, von denen er nicht abläßt, egal, welche Nachteile es für ihn und ihm nahestehende Personen nach sich zieht.
    Wie brachte man einen derart schwierigen Kunden dazu, sich der eigenen Meinung anzuschließen?
    »Aber jetzt genug von mir, Fürst«, sagte Odysseus. »Wie steht’s mit dir? Erzähl mir was über dich, wie du es geschafft hast, aus Troja rauszukommen, wohin du nun ziehst. Als ich dich gerade fragte, warum du dich nicht bei Helenos niedergelassen hast, da sagtest du, du seist anderswohin unterwegs. Wohin denn?«
    Äneas sah ihn einen Moment lang zweifelnd an, dann hob er die Schultern und meinte: »Was macht es schon, ob ich es dir erzähle? Da gibt es ein Land, das die Griechen Hesperien nennen, das bei den Eingeborenen aber Italien heißt, wo der Boden fruchtbar ist und von wo der Sage nach unsere trojanischen Vorfahren gekommen sind. Dorthin bin ich gesandt worden, um ein neues und mächtigeres Dardaniden-Reich zu gründen.«
    »Gesandt worden? Etwa von den Göttern, oder wie?«
    »Ja. Von den Göttern.«
    »Mein Beileid«, meinte Odysseus mitfühlend.
    »Warum sagst du so etwas? Stehen wir nicht alle unter der Macht des hohen Olymps? Sogar du, mein Freund, kannst nicht leugnen, daß du deinen Aufenthalt hier dem Einfluß des mächtigen Poseidon verdankst.«
    »Ja, aber da gibt es einen Unterschied. Alles, was ich will, ist, nach Hause zurückzukehren. Die Götter können mich dabei unterstützen oder behindern, wie es ihnen gefällt, aber ich gehe nach Ithaka zurück, weil ich es so will. Und was immer ich auch dort vorfinde, ich komme schon damit klar, weil es meine Angelegenheit ist, und nicht die der Götter. Wenn das Blasphemie ist, na gut, der Donnerkeil soll mich treffen und in Schweinekruste verwandeln, aber Götter hin, Götter her, wir Menschen müssen uns am Ende doch um uns selbst kümmern, sonst tut es keiner.«
    Äneas warf ihm einen neugierigen Blick zu, in dem sich auf merkwürdige Weise Verachtung und Neid vereinten.
    »Es muß sehr … bequem sein, so ohne Sinn zu leben.«
    »Sinn? Frag mal Achilles nach ›Sinn‹. All dieses Heldengetue! Jetzt wäre er lieber wieder in seinem Frauengewand auf Skyros, mit all den anderen Mädchen, die ihm zurufen: ›Komm und hilf mir beim Sticken, Stocksteifer!‹«
    »Auch sein Schicksal lag in den Händen der Götter.«
    Aus dem rückwärtigen Teil der Höhle drang ein klagender Laut, wie von einem winselnden Hündchen. Äneas sah sich besorgt um und richtete sich auf. Doch eine Dienerin trat hinter dem Vorhang hervor, machte eine beruhigende Geste, schenkte einen Becher voll Wasser und kehrte wieder zur Lagerstatt des kranken Kindes zurück.
    »Ja, gewiß«, sagte Odysseus. »Und ich bin sicher, das Schicksal des Jungen da hinten liegt ebenfalls in den Händen der Götter. Dein Sohn, oder?«
    »Ja, mein Junge, Askanius. Er wurde krank, als das Schiff so heftig in dem Sturm schaukelte, der uns hierher verschlagen hat. Ich hatte gehofft, es würde ihm nach der Landung besser gehen, aber …«
    »Kann ich ihn mir mal ansehen?«
    »Gehört die Medizin etwa auch zu deinen Künsten?« fragte der Fürst halb hoffnungsvoll, halb herablassend.
    »Nein, aber ich habe viel an mir ausprobiert«, meinte Odysseus und sah an seinem

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