Das Haus an der Klippe
siebzehn ist sie zur Stelle, als eine der irrationalen Amnestien, die lediglich Platz für neue Häftlinge schaffen sollen, ihren achtzehnjährigen Bruder ins Sonnenlicht taumeln läßt.
Sie pflegt ihn gesund. Wie durch ein Wunder behält er sein jungenhaftes Aussehen, aber innerlich ist er gealtert und hart geworden, um es mit dem alten Felsgestein aufnehmen zu können, aus dem seine Zelle gehauen war.
Und nun verfügt er über Verbindungen.
In den darauffolgenden Jahren wird Little Boy einer der großen Helden in der unendlichen Geschichte des Aufstands. Doch letztendlich, in einem Land, wo die Grenzen zwischen Terroristen beziehungsweise Freiheitskämpfern, Drogenbaronen, korrupten Politikern und in kriminelle Machenschaften verstrickten Armeeoffizieren bis zur Unkenntlichkeit verwischt sind, wird er schließlich durch seine Kompromißlosigkeit – keine Gefangenen, keine Deals – zum Problem für die größeren Widerstandsgruppen. Dank seiner kleinen, aber fanatischen Anhängerschaft ist es schwierig, direkt an ihn heranzukommen, aber ein Tip an die Anti-Rebellentruppen der Regierung tut es auch. Doch in dieser Welt wird normalerweise auch der Verräter verraten, und so gelingt es Chiquillo und seinen Männern zu entkommen, nicht ungeschoren, sondern gerade genug angestachelt, um die Wildheit des verwundeten Tieres zu wecken.
So entsteht PAL , die Kurzform von
paliza
, was »schlagen« oder »prügeln« bedeutet, ein Name, der sowohl die Motive als auch die Methoden der Gruppe umreißt, die, obwohl nur klein, bald als eine der gefährlichsten gilt, die jemals aus diesem langen, schmutzigen Krieg hervorgegangen sind. Chiquillo gelingt das, was Unterhändler in jahrzehntelangen Friedensverhandlungen erfolglos versucht haben: Der Wunsch, ihn loszuwerden, bringt die Regierung und die übrigen Rebellen an einen Tisch.
Doch er ist so schwer zu fassen wie ein Fabelwesen. Berichte von seiner Gefangennahme hier, seiner tödlichen Verwundung dort werden schnell durch sein Auftauchen bei einer anderen Gewalttat hundert Meilen weiter weg widerlegt. Schließlich aber haben die Anti-Rebellentruppen Glück und bringen die Gruppe in die Klemme. Sie legen ihr einen Hinterhalt, es kommt zu einem verzweifelten Feuergefecht, die Aufständischen erleiden starke Verluste, die Überlebenden ziehen sich zurück und töten zuvor ihre Verwundeten, lassen keine Lebenden zurück, also gibt es auch keine Gefangenen. Mit einer Ausnahme. Sie hat ein durchschossenes Bein und kann nicht gehen.
Bruna Cubillas.
Bruna gehört nicht zu den Frauen, die sich wie die antiken Amazonen aktiv am bewaffneten Kampf beteiligen, aber sie ist ihrem Bruder Fidel seit dessen Freilassung nicht von der Seite gewichen, sie hat sich ganz seinem Wohl verschrieben, ja, Gerüchten zufolge (Gerüchte, die sogar den Befreiungstheologen einen Vowand lieferten, sich von ihm zu distanzieren) teilt sie sogar sein Bett.
Damit haben die Regierungstruppen ein Unterpfand für Verhandlungen. Zumindest glauben sie das.
Bruna Cubillas …
Tortured and raped but won’t talk at least she’s alive …
Can she survive?
Man schickt Botschaften in den Dschungel, lädt zum Dialog ein. Aber die Antwort ist Schweigen.
Als man schon meinen könnte, Chiquillo sei zu dem Schluß gekommen, daß es für ihn angesichts seiner angeschlagenen Truppe und mit seiner Schwester in Feindeshand am besten wäre, sich eine Weile still zu verhalten, meldet sich PAL lautstark zurück. Da sie als Guerillatruppe an Schlagkraft verloren haben, starten sie eine schmutzige Terrorkampagne in den Städten. Bomben, Morde, ohne Rücksicht auf den Tod von zwanzig Unschuldigen, solange es auch diejenigen trifft, die sie für die Schuldigen halten. Es ist wie in Nordirland, und tatsächlich geht das Gerücht, daß sie in der internationalen Bruderschaft der Terroristen das Brot mit den irischen Extremisten gebrochen haben.
Seltsamerweise erleichtert das eher Brunas Los, anstatt es zu verschlimmern. Ein wertloses Tauschobjekt ist es nicht einmal wert, daß man es wegwirft.
Dann fällt nach einem Jahr einem scharfsinnigen Gefängniszensor auf, daß sie eine Beziehung mit einer Samariterin von Liberata aufgenommen hat, einer dieser lästigen Menschenrechtsgruppen.
Eleanor Pascoe.
Ob man das vielleicht langfristig nutzen könnte, um einen Kontakt zu dem so schwer zu greifenden Fidel herzustellen?
Aber dazu bräuchte man Hilfe aus Großbritannien. Die Sache schien kaum einen Versuch wert.
Trotzdem
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