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Das Haus an der Klippe

Das Haus an der Klippe

Titel: Das Haus an der Klippe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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nicht. Es wäre prima, wenn sie das schaffte, aber das Wichtigste war, daß ihrem Kind erspart blieb, was sie im Pavillon erwartete, was immer das sein mochte.
    Sie war überzeugt gewesen, daß Feenie die Instabilität des Bodens stark übertrieben hatte, aber jetzt schien es ihr, als würde er tatsächlich unter ihren Füßen nachgeben. Sie wußte natürlich, daß das teilweise an ihrer verwirrten Wahrnehmung lag, dem Gefühl einer in Auflösung begriffenen Welt, hervorgerufen durch das heftige Schwanken der Büsche. Und natürlich war es auch schwierig, angesichts der heftigen Windböen das Gleichgewicht zu bewahren und dabei noch jemand anderen zu stützen. Trotz dieser Einsicht kam es ihr vor, als würde sie in stürmischer See über das Deck eines Schiffs gehen.
    Nein, Berichtigung. Je näher sie an den Rand der Klippe herankamen, desto deutlicher wurde ihr bewußt, was mit dem Meer los war. Sie spürte die Gischt in der Luft, hörte, wie es sich donnernd gegen die Klippe warf, und nun konnte sie sehen, wie es unten in einer ständig wechselnden Berglandschaft aus grünem und schwarzem Wasser emporwogte. So mußte das Computerprogramm des Designers Gott gearbeitet haben, als er die wilderen Regionen seiner Welt entwarf. Jetzt die Anden, da die Rocky Mountains, und schließlich sein Meisterwerk, der Himalaja. Niemand hätte bei einem solchen Wetter das Deck eines Schiffes überqueren können.
    Sie waren nun fast am Kommandoposten. Er sitzt auf einer schmalen Granitnadel, hatte Feenie gesagt. Wie schmal war schmal? Dies sah so aus wie einer jener landhungrigen Stürme, die nicht ohne Beute abziehen.
    Feenie öffnete eine Tür. Sie drehte sich um und brüllte, daß sie da wären und aufpassen sollten, falls irgendwo zerbrochenes Fensterglas oder andere gefährliche Dinge herumlägen.
    Sie mußte so schreien, um sich im Wind Gehör zu verschaffen, natürlich, aber was sie da schrie, hatte so wenig Sinn …
    Das letzte Mal, als sie so unnötig geschrien hatte, wollte sie damit Carla zum Stillsitzen veranlassen und Rosie warnen …
    Da ist jemand im Pavillon, dachte Ellie.
    Sie gingen hinein und kamen in einen kleinen Vorraum mit drei Türen, eine links, eine rechts und eine Doppelflügeltür geradeaus. Durch die Seitentüren, erinnerte sich Ellie, gelangte man zu einer Toilette und einer kleinen Küche, von der aus eine weitere Tür zur Treppe des Vorratskellers führte.
    Feenie ging voran und stieß die Doppeltür auf, die in den Panoramasaal führte.
    »Oh, mein Gott«, rief Daphne.
    Es war ein schrecklicher und zugleich erhabener Anblick. Es war, als ob man durch eine Tür tritt und sich auf dem Gipfel des Kanchenjunga wiederfindet. Oder als ob man durch eine Luftschleuse schwebt und auf die Milchstraße hinuntersieht. Es war, als öffne sich ein magisches Fenster zu dem Schaum verlorener Meere in einem verlorenen Märchenland.
    Die Wand vor ihnen bestand aus einer einzigen dicken Glasscheibe, die über die gesamte Länge des Gebäudes lief. Dahinter war nichts als Himmel und Meer. Und was für ein Himmel, was für ein Meer! Die Luft die angestammte Heimat der Walküren und Harpyien, der fliegenden Drachen und goldenen Widder und zügellosen Schwäne und all der stöhnenden Seelen der gerade Verstorbenen, die Wasser das Element der Sirenen und Seeungeheuer, von Scylla und Charybdis, der Sieger und Besiegten des zerstörten Ilion, der Ertrunkenen und Gestrandeten, die zur Musik, die der alte Triton auf seinem geschwungenen Muschelhorn blies, in ihre glücklichen Gräber sanken.
    Ellie starrte sprachlos hinaus. Shirley Novello neben ihr vergaß ihre Schmerzen und fragte sich, ob sie nicht an der Schwelle des Todes stehe. Der große und der kleine Ajax gaben zum ersten Mal einen Laut von sich, ein ehrfürchtiges Grunzen, und drängten sich vor, um besser sehen zu können. Sogar Jorge, dessen Pistole achtlos in seiner nervösen Hand baumelte, schien vollkommen hingerissen.
    »Beeindruckend, nicht?« ertönte eine Stimme hinter ihnen. »Oh, ich liebe das Meer.«
    Ellie wandte sich um.
    Eine Frau war von irgendwoher aufgetaucht. Wahrscheinlich aus der Küche, deren Tür offenstand. In der Hand hielt sie eine Automatikwaffe mit kurzem Lauf, wie sie heutzutage jedermann – Terroristen, Freiheitskämpfer, Sonderkommandos der Polizei, Kinder, die die Post überfallen – zu haben schien. Die Frau war jung, schlank, dunkelhaarig und sehr schön.
    Ellie war sich sicher, ihr noch nie begegnet zu sein. Doch genauso sicher

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