Das Haus an der Klippe
getragen hatte, nahm sie mit dem professionellen Griff einer Feuerwehrfrau hoch und wankte zur Tür. Sie sah noch, daß Mrs. Stonelady Wendy half und Uncumber und Popeye bereits im Vorraum Kelly hochhoben, während Feenie und Daphne Arm in Arm vorantorkelten wie zwei selig Betrunkene auf einer nächtlichen Sauftour.
Das Meer stürmte schon wieder heran und beförderte sie diesmal allesamt in den Vorraum. Inzwischen war der Keller so vollgelaufen, daß er die Fluten nicht mehr ganz aufnehmen konnte und sie bis zu den Waden im wirbelnden Wasser standen, was den Eindruck vermittelte, der Boden und das ganze Gebäude seien in Bewegung geraten. Von ganz tief unten ertönte ein furchterregendes Knirschen und Stoßen, als rege sich dort ein Seeungeheuer im Schlaf. Die Erinnerung an eine Lektüre aus ihrer Kindheit verriet Ellie, was es war: die Särge in der Gruft in
Moonfleet!
Zweifellos waren das die Waffenkisten, die das Wasser im Keller hin und her wuchtete.
Hinter ihnen drängten die Leichen der beiden Ajaxe und Jorges zum Ausgang, als ob sie selbst im Tod noch diesem Schreckensort entfliehen wollten. Feenie und Daphne, ehemalige Widerstandskämpferin die eine, Tochter eines Archidiakons die andere, beide einander ebenbürtig an Kaltblütigkeit, stießen sie zurück in den Panoramaraum und schlossen die Tür. Dann gelang es jemandem, die Außentür zu öffnen, die Scheinwerfer des Lastwagens leuchteten herein, und sie traten ins Freie. Die Luft draußen war wild und feucht und floß wie Nektar in Ellies weitgeöffneten Mund.
Ein Eindruck, der unverändert blieb, war jedoch die Bewegung unter ihren Füßen. Und hier gab es keine Wasserwirbel, die eine solche Illusion erzeugen konnten. Sie sah Feenie an, die ebenfalls ein wenig taumelte.
»Schnell, die Verwundeten in den Lastwagen!« befahl die alte Frau. »Ich glaube, da verabschiedet sich ein Stückchen Axness!«
Ellie trug Novello zum hinteren Ende des Lasters. Popeye ließ die Ladeklappe herunter, kletterte hinauf und half ihr, die verletzte Polizistin hineinzuhieven. Als nächste kam Kelly. Uncumber stieg hinter ihr ein, kniete neben ihr nieder, murmelte tröstende Worte auf spanisch, küßte sie und kletterte wieder hinunter. Für Ellies kundiges Auge wirkte dieser Kuß nicht gerade wie der einer Heiligen. Unterdessen half Ellie, auch Wendy Woolley auf die Ladefläche zu befördern. Sie sah noch bleicher aus als die ganze Zeit, seit sie den Querschläger abbekommen hatte. Es war, als ob ihr Körper sich jetzt, da das Schlimmste vorbei war, endlich seinen Schmerz eingestehen konnte.
Während das alles passierte, hatte Ellie ein paar undeutliche Gestalten erahnt, die reglos wie Buddhastatuen tief im Dunkel des Laderaums saßen. Und als schließlich ein Blitz die Szene erhellte, sah sie deutlich, was sie für eine Sinnestäuschung ihrer überanstrengten Augen gehalten hatte.
Es waren vier … nein, fünf Leute, gefesselt, die Gesichter halb hinter Klebestreifen verborgen. Dennoch erkannte sie zwei von ihnen sofort, glaubte aber erst beim nächsten Blitz, was sie da sah.
Einer von ihnen war Andy Dalziel.
Der andere Peter.
O Gott, was machte er hier …? War Rosie etwas passiert …?
Sein Blick war auf sie geheftet, aber was er dachte, konnte sie ihm nicht von den Augen ablesen.
Sie griff nach Popeyes Arm, zog sich hoch und löste den Klebestreifen vom Mund ihres Mannes.
»Rosie ist in Sicherheit«, keuchte er.
Dafür liebte sie ihn so. Selbst hier und jetzt, unter Bedingungen, die nur wenige Worte ermöglichten, wußte er genau, welche Worte sie hören wollte.
Und es waren tatsächlich nur ein paar Worte möglich, denn Feenie brüllte: »Alle, die laufen können, steigen aus! SOFORT !«
Sie legte ihre Finger auf Peters Lippen, dann sprang sie hinaus und trat gerade noch rechtzeitig beiseite, bevor der Laster zurückstieß. Feenie, offenbar überzeugt, daß die Zeit drängte, versuchte gar nicht erst zu wenden; auch schien ihr der Rückwärtsgang wohl am ehesten geeignet, um das sumpfige Gelände zu überqueren.
Mit beidem lag sie richtig.
Die einigermaßen unversehrten Überlebenden trotteten, eine Hand an der Seite des Lasters, neben dem Fahrzeug her wie Bodyguards neben einer Präsidentenlimousine, wobei sie mit jedem Schritt in den durchweichten Boden einsanken.
Von Zeit zu Zeit riskierte Ellie einen Blick über die Schulter. Die Scheinwerfer erleuchteten die klassizistische Fassade des Pavillons, die jetzt allerdings nicht mehr besonders
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