Das Haus an der Klippe
Tut mir leid, aber soweit ich mitgekriegt habe, folgt er einem Krankenwagen in die Klinik.«
Sechs
Selbsthilfe
E llie Pascoe merkte erst, wie durcheinander sie war, als sie beim Geräusch der Türklingel zusammenschrak und eine Gott sei Dank fast leere Kaffeetasse über ihren Laptop leerte.
Werd wieder normal, hatte sie sich ermahnt, aber dann war ihr eingefallen, daß sie sich das nach Rosies Krankheit auch gesagt und schließlich eingesehen hatte, daß Normalität nicht einfach eine Abfolge gewohnter Tätigkeiten war, sondern ein Zustand, der wie die Jungfräulichkeit nicht wiederzuerlangen ist.
Sie hatte jedoch ihren normalen Tagesablauf wieder aufgenommen, war in Klausur gegangen (ein hübsches religiöses Wort für eine Tätigkeit, die für sie manchmal beinahe religiösen Charakter hatte) und schrieb in dem Abstellraum, den sie nicht Arbeitszimmer nennen wollte. Richtige Schriftsteller hatten ein Arbeitszimmer, aber man war kein richtiger Schriftsteller, solange man noch nichts veröffentlicht hatte. Nun, sie durfte sich immerhin Hoffnung machen. Als sie auch für ihren dritten Roman keinen Verlag gefunden hatte, wäre sie wahrscheinlich in Verzweiflung verfallen, wenn Rosie damals nicht so krank gewesen wäre – so daß ihr überhaupt nicht der Sinn danach stand, sich der Verzweiflung hinzugeben, und schon gar nicht wegen etwas so Unwichtigem wie einem blöden Buch!
Als Rosie auf dem Weg der Besserung war, hatte Ellie wieder angefangen zu schreiben. Aber während sich die Tochter von den Phantasiespielen, der einstigen Lieblingsbeschäftigung, abwandte, entdeckte die Mutter bei sich ein spielerisches Interesse an Figuren und Situationen aus dunkler Vorzeit und verlor das Interesse an dem Schnappschußrealismus, den sie bisher für ihre Stärke gehalten hatte.
Ohne groß darüber nachzudenken, hatte sie diese neue Linie verfolgt, auch als ihr klar wurde, daß sie damit nichts zustande brachte, was man veröffentlichen konnte. Aber es machte … Spaß? Ja, bestimmt war es das. Und wie bei Kinderspielen, die Spaß machen, gab es hier etwas zu lernen. Das war wichtig für sie, gerade zu der Zeit und unter diesen Umständen, aber vielleicht auch in Zukunft unter veränderten Umständen. In ihrem früheren Leben als Universitätsdozentin hatte ein Kollege, der kreatives Schreiben lehrte, geklagt, er vertue zuviel Zeit mit den Komplexen von Studenten, die das Schreiben von Romanen und Erzählungen für Therapie hielten – und nicht für Kunst. Jetzt wußte sie, was er meinte. Therapeutische Übungen behältst du für dich. Die Kunst befördert dich, zitternd und bebend, ins Rampenlicht.
Unter diesem Aspekt nahm sie ihren dritten abgelehnten Roman unter die Lupe. Absatz für Absatz las sie ihn durch und stellte sich die beiden wesentlichen Fragen.
Ist mir das wirklich so wichtig, daß ich es mitteilen muß? Könnte das für die Lesenden so interessant sein, daß sie es lesen müssen?
Und ohne Peter oder irgend jemand sonst ins Vertrauen zu ziehen, zerpflückte sie eine ganze Woche lang ihr geheiligtes Manuskript, so wie Moses die Gesetzestafeln zertrümmerte. Dabei kam heraus … sie hatte keine Ahnung, was dabei herauskam, nur daß das, was sie früher für eine intelligente Geschichte gehalten hatte, jetzt wahrhaftig wirkte.
Tiefe Verzweiflung hat meine Seele menschlich gemacht … ?
Vielleicht. Vor drei Tagen hatte sie es an den Verlag geschickt, der das Buch in seiner ersten Fassung abgelehnt hatte. In dem Begleitbrief schrieb sie:
Letztes Mal haben Sie erklärt, es wirke vielversprechend, aber … Sagen Sie mir, wie es jetzt wirkt. Allerdings wüßte ich es zu schätzen, wenn Sie mir diesmal rasch antworten!
Und dann hatte sie sich zu therapeutischen Zwecken ihrer parodistischen Erzählung von fernen, entlegenen Dingen und längst geschlagenen Schlachten zugewandt. Zügellosigkeit ist die schwerste Sünde der Romanautorin, aber hier durfte sie sich nach Herzens- und Kopfeslust gehenlassen. Hier durfte sie spotten und höhnen, derb oder sentimental werden, anarchistisch oder anachronistisch schreiben, ganz wie es ihr beliebte. Hier hatte sie Macht ohne Verantwortung, denn sie schrieb nur für sich. Niemand würde das je lesen. Sie war die Alleinherrscherin dieser Welt, und was hier normal war, bestimmte sie. Oder weniger bombastisch ausgedrückt, es war ihre Schmusedecke, an der sie nuckeln konnte, wenn ihrem zartbesaiteten Naturell danach zumute war. So hieß die Datei in ihrem
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