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Das Haus an der Klippe

Das Haus an der Klippe

Titel: Das Haus an der Klippe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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immer noch den Löwenanteil der Posten in der niederen Gerichtsbarkeit innehatte. Nicht daß sie in dieser Richtung je Ambitionen entwickelt hätte. Und obwohl sie imstande war, das Wort
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so auszusprechen, als handle es sich um einen amerikanischen Schriftsteller, traf sie auch den Ton, der ihr Ellies Freundschaft sicherte. Also mußte sie mehr auf dem Kasten haben, als man auf den ersten Blick vermutete. Und das galt wahrscheinlich auch für ihren Mann. Er war ein ruhiger, charmanter Gentleman, der für seine Rosen lebte, aber er war nicht in einen, sondern in mehrere scheinbar zufällige Todesfälle verwickelt gewesen. Man hatte ihm nie etwas nachweisen können, und in seiner Gesellschaft schämte sich Pascoe seiner früheren Verdächtigungen. Und doch … und doch …
    »Könntest du ihn bitte beschreiben, Daphne?« bat er.
    »Ja, natürlich. Tut mir leid, ich fange an zu schwafeln, nicht wahr? Es ist das erste Mal, daß ich überfallen wurde, weißt du. Ein ziemlicher Schock, vor allem, wenn keine sexuellen Motive im Spiel sind. Nein, das ist dumm ausgedrückt, natürlich wäre der Schock viel größer gewesen, wenn er mich auch noch vergewaltigt hätte. Was ich sagen wollte, ist, er hat mich einfach umgenietet, als ob … als ob ich ein Mann wäre.«
    »Also kein englischer Gentleman?« murmelte Pascoe, was ihm einen Medusenblick von Ellie einbrachte. »Tut mir leid.«
    »Nein. Da hast du ganz recht. Ich meine, ich will nicht behaupten, daß er kein Engländer war – oder Brite, besser gesagt. Wie Ellie mir immer wieder versichert, leben wir ja heute in einer Regenbogengesellschaft. Aber er war sicherlich kein Angelsache. Er war dunkel, nicht negroid, aber knusprig braun, so wie Ellie. Ich wünschte, ich würde so leicht braun werden, aber bei meinem Hauttyp werde ich allenfalls zu einem rosa Streuselkuchen. Heutzutage sagt man ja, es sei schädlich, erzeugt Hautkrebs … nicht daß ich im geringsten andeuten möchte, daß du gefährdet wärst, meine Liebe. Nein, ich bin mir sicher, daß es sich in deinem Fall um eine natürliche Pigmentierung handelt …«
    »Vielleicht könnten wir die interessante Frage von Ellies ethnischer Abstammung mal beiseite lassen«, knurrte Pascoe. »Also, du meinst, daß der Mann sonnengebräunt war? Haarfarbe?«
    »Ja, natürlich. Tut mir leid. Ich meine, schwarz, Kurzhaarschnitt, das heißt aber nicht rasiert, nicht wie diese – nennt man sie noch Rocker?«
    »Der Ausdruck ist ein klein wenig passé«, meinte Pascoe. »Also kurze Haare. Schnurrbart? Vollbart?«
    »Ja, wenn ich es mir recht überlege – er hatte einen Schnurrbart«, erwiderte Daphne. »Keinen großen. Kurz, wie seine Haare. Im Grunde sah er recht gepflegt aus, beinahe elegant. Er hätte einen ausgezeichneten Oberkellner in einem passablen Restaurant abgegeben.«
    Wollte sie ihn verarschen? Er warf einen Blick auf Ellie, die ihn sardonisch anlächelte. Sie hatte ihm einmal geraten, sich nicht über Daphne lustig zu machen, das könne sie selbst viel besser. Aber der Versuchung zu widerstehen war schwer. Und sie schien dieses Geplänkel zu genießen wie einen harmlosen Flirt. Harmlos, weil es nicht die geringsten Anzeichen dafür gab, daß sie auf ihn abfuhr, und er hatte sich noch nie für englische Rosen begeistern können, die sich – dank einer Metamorphose, für die sich Ovid vielleicht interessiert hätte – im Alter häufig in englische Pferde verwandelten.
    Wie auch immer, das Frage-und-Antwort-Spiel führte schließlich zu einer brauchbaren Personenbeschreibung. Nicht sehr groß, etwa eins achtundsechzig bis eins siebzig, schlank, schmales Gesicht, spitze Nase; bekleidet war er mit einem leichten, dunkelblauen, gut geschnittenen Jackett (Daphne hatte ein Auge für Kleidung), gut gebügelten hellgrauen Freizeithosen ohne Aufschlag, weinroten Slippern (sie verzog angeekelt den Mund), einem taubenblauen Hemd mit offenem Kragen und einer Goldkette mit einer Art Medaillon um den Hals.
    »Hervorragend«, sagte Pascoe. »Einen Augenblick.«
    Er griff nach seinem Handy, rief die Zentrale an, gab die Beschreibung durch und erfuhr, daß man den Audi gefunden hatte.
    »Das ging aber schnell«, meinte Pascoe.
    »Er ist nicht weit gekommen. Leyburn Road, eine Einkaufsstraße. Kennen Sie die, Sir?«
    »Ob ich die kenne? Ich habe dort Schulden.«
    Von seinem Haus waren es fünf Autominuten zu der Straße oder zehn Gehminuten über den Spielplatz.
    »Wer ist dort?« fragte er.
    »Sergeant Wield.«
    Gut.

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