Das Haus an der Klippe
weg und hinterließ keine Adresse. Und die beiden waren kluge Detectives.
Von den übrigen lag einer mit gebrochenem Bein im Krankenhaus, zwei waren wegen irgendwelcher Ermittlungen unterwegs, Pascoe trieb sich in Sheffield bei diesem irren Roote rum, Constable Bowler machte den Begleitschutz für Ellie Pascoe, und Sergeant Wield hielt Rosie Pascoe in Enscombe bei Laune.
Manchmal dachte er schon, man sollte Mid-Yorks Criminal Investigation Department in »Pascoes Privatarmee« umbenennen.
Aber irgend jemand mußte doch dasein.
Als wäre er Gott, wurde sein Gedanke Wirklichkeit.
Die Tür öffnete sich, und Shirley Novello trat ein.
»Wo steckst du denn?«
»War nur mal kurz im Waschraum, Chef«, sagte sie.
»Ah ja? War’n los? ’n Riß im Make-up entdeckt oder wie?«
Im vollen Bewußtsein, daß ihr Gesicht während der Arbeitszeit praktisch eine kosmetikfreie Zone war, antwortete Novello munter: »Nein, Chef. Um ehrlich zu sein, ich mußte mal pinkeln.«
Dalziel schaute sie verdutzt an und sagte: »Na, Mädel, jetzt mach mal einem alten Mann nicht seine Illusionen kaputt. Woran arbeitest du denn grad?«
Er wartete die Antwort nicht ab, sondern stöberte in den Papieren auf ihrem Schreibtisch herum.
»Feenie Macallum? Diese alte Fledermaus, Wohltäterin der Menschheit? Was in Gottes Namen willst du mit der?«
»Bloß, um nichts zu übersehen, Chef«, erwiderte Novello mit einem, wie sie hoffte, Ausdruck energischer Zielstrebigkeit. »Sie ist gestern abend bei den Pascoes aufgetaucht, und aus irgendeinem Grund muß sie wohl gedacht haben, unsere Bewachung hätte was mit ihr zu tun. Und da dachte ich, wo doch jeder so besorgt ist um Mrs. Pascoe und alles, ich mach mich mal besser schlau, worum es bei diesem Treffen gegangen sein könnte.«
In Wahrheit war sie nicht aus Sorge um Ellie ins Archiv gegangen, sondern aus purer Neugier. Außerdem ließ sie sich nicht gern zum Narren halten.
»Zeitverschwendung«, meinte der Dicke abschätzig. »Wird wohl um Hilfe für Frauen mit Kopfschmerzen oder um minderjährige walisische Flüchtlinge mit Akne gegangen sein. Was ist denn Wilgefortis? Wohl so ’n Zeug, was du dir auf die Brust schmierst?«
Er schaute in ihre Notizen.
Sie malte sich seine mutmaßliche Reaktion auf ihre Erklärung aus, zog verschiedene Lügen in Erwägung und dachte dann: Was soll’s?
»Die heilige Wilgefortis, Chef. Eine der Siebenlinge der Königin von Portugal. Sie hatte ein Keuschheitsgelübde abgelegt, aber ihr Vater wollte sie an den König von Sizilien verheiraten. Jungfräulichkeit gehörte nicht zum Ehevertrag, da hat sie Gott angefleht, sie so häßlich zu machen, daß niemand sie heiraten will.«
»Echt? Ich glaub, ich kenne ihre Schwester. Weiter?«
»Sie bekam einen Bart auf der Oberlippe und im Gesicht, Chef. Der König von Sizilien nahm das nächste Schiff nach Hause. Und ihr Vater war so sauer, daß er sie kreuzigen ließ.«
Der Dicke nickte, als fände er das verständlich, und betrachtete dann eingehend ihre Oberlippe und ihr Kinn. »Was willst du mir damit sagen, Ivor?«
»Nur, daß sie bei ihrem Tode zu Gott betete, er möge alle Frauen in der Welt, die Anteil an ihrem Los nähmen und ihren Schmerz zu würdigen wüßten, von Prüfungen, Sorgen und Lasten erlösen.«
»Und was, bitte schön, hat das mit dem zu tun, wofür du ein Gehalt aus Steuermitteln bekommst?«
»Sie war unter verschiedenen anderen Namen bekannt. Einer war Liberata. Das ist der Name von Miss Macallums Organisation, einer Stiftung, die sich um Frauen kümmert, die unschuldig im Gefängnis sitzen, in Diktaturen gefoltert oder sonstwie mißhandelt werden.«
Dalziel schüttelte den Kopf und sagte: »Damit verbringst du also deine Zeit? Ich bin sehr für die freie Religionsausübung, meine Liebe, aber nicht während der Arbeit. Vor allem nicht mit diesem ausländischen Quark.«
»Bei den Engländerinnen war sie sehr beliebt«, verteidigte sich Novello. »Sie nannten sie die heilige Uncumber, legten Hafer zu Füßen ihrer Statue und beteten darum, von ihren lästigen Männern befreit zu werden.«
»Soll das ein Witz sein? Meine Güte! Meine Frau hat immer Haferbrei gemacht, ich hab das Zeug gehaßt.«
Es schien nicht empfehlenswert, auf dieses Thema einzugehen.
»Wie auch immer, Miss Macallum hat eine Akte. Hauptsächlich in Verbindung mit verschiedenen Demonstrationen. Widerstand gegen die Staatsgewalt. Beamtenbeleidigung. Landfriedensbruch. Dazu eine Vorstrafe wegen Gefährdung des
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