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Das Haus an der Klippe

Das Haus an der Klippe

Titel: Das Haus an der Klippe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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und unwissend bist, läßt sich doch nicht bestreiten, daß du zu unseren geschworenen Feinden gehörst.«
    »Nee, Herr, niedrigen Standes und unwissend gebe ich ja zu, aber was das andere betrifft, das möchte ich dann doch bestreiten. Ich habe von dir immer nur Gutes gehört, und ich wünsche dir nichts Schlechtes, und ich kann das alles hier und jetzt beschwören, wenn du willst. Große Herren wie du bestimmen, was gemeine Leute wie ich tun und sind. Du sagst, ich sei dein Feind, und dann ist es so. Aber wenn du sagst, ich sei dein Freund, nun, dann ist das ebenfalls wahr, oder nicht?«
    »Ich entscheide nicht allein über dich, Bursche«, erwiderte Äneas ernst. »Wo unser aller Schicksal auf dem Spiel steht, muß der Führer auch Demokrat sein. Kennst du dieses Wort? Es stammt von euch.«
    »Ja, hab ich schon mal gehört«, sagte Nothos ohne große Begeisterung. »Kommt bei uns zwischen Pferdedieb und Schafficker.«
    »Wirklich? So ein primitives Völkchen seid ihr. Also, Männer, was meint ihr? Sollen wir hier Gnade zeigen, oder sollen wir diesen Griechen für die Verbrechen seiner Kumpane büßen lassen?«
    »Ich sage, laß ihn uns wieder zur Klippe bringen und zurück ins Meer schmeißen«, erklärte Achates. »Er hat etwas an sich, was mir nicht gefällt.«
    Die Zuhörer murmelten zustimmend, was im Falle einer demokratischen Abstimmung kein günstiges Ergebnis versprach.
    »Jetzt hör aber auf«, verwahrte sich der Grieche gegenüber dem Hauptmann. »Wenn ihr anfangt, Leute bloß wegen ihres Aussehens die Klippen runterzuschmeißen, werde ich wohl eine weiche Landung haben, denn dann lande ich auf dir!«
    Einige Männer lachten, bis Achates ihnen sein zerfurchtes, undurchdringliches Gesicht zuwandte.
    »Eine Stimme für Tod«, sagte Äneas. »Sonst noch jemand? Palinurus?«
    Ein schlanker junger Mann trat vor und erklärte: »Herr, obwohl jetzt der Mond und die Sterne zu sehen sind, kann ich meinen Karten doch nicht genau entnehmen, wo wir sind. Wenn dieser Grieche Kenntnisse über die genaue Lage der Insel und die umliegenden Gewässer besitzt, ihre Riffe und Felsen und Fahrrinnen und Untiefen, dann könnte er uns von Nutzen sein.«
    »Also, Fischer?«
    Nothos kratzte sich durch seinen verfilzten Bart hindurch am Kinn. Es klang wie das Geräusch von Sägezähnen, die in eine Eiche schneiden.
    »Ich will dich nicht belügen«, sagte er. »Ich bin noch nie hier gewesen, aber wenn wir uns dort befinden, wo ich glaube, dann habe ich von alten Leuten bei mir zu Hause schon einiges darüber gehört, und ihr wißt ja, wie die alten Leutchen wieder und wieder die gleichen Dinge durchkauen, bis man fast auswendig in ihren Chor einstimmen kann. Also, ja, ich könnte euch sicher zurück nach Orchis oder jedem anderen Ort geleiten, zu dem ihr wollt. Vorausgesetzt natürlich, ihr habt eure Schiffe in einem sicheren Hafen?«
    »Das geht nur uns etwas an«, sagte Äneas, bevor Palinurus antworten konnte. »Also, Grieche, fürs erste wollen wir dich verschonen … warum grinst du?«
    »Nur so, Herr. Ich dachte gerade, wenn ich gewußt hätte, daß eure Demokratie so funktioniert, dann hätte ich mich vielleicht schon längst zu ihr bekannt.«
    Ihre Blicke trafen sich für einen Augenblick, dann senkte der Grieche den seinen bescheiden, und Äneas fuhr fort: »Solltest du dich für uns in dieser Sache als nützlich erweisen, dann bringen wir dich irgendwo an Land, so nahe an deine Insel, wie uns unsere Reise führt. Falls nicht, dann überlegen wir uns die Sache mit der Demokratie vielleicht noch einmal. Komm mit. Du mußt müde sein nach all den Aufregungen.«
    Er stand auf und ging voran zu dem Schutzzelt bei den Felsen.
    »Halte Wache am Eingang, Achates«, sagte er. »Und wenn er ohne Erlaubnis seinen Kopf rausstreckt, hack ihn einfach ab.«
    Im Innern des Schutzzeltes brannten zwei Öllampen, in deren bernsteinfarbenem Schein der Grieche sah, daß der Raum größer war, als es von außen schien, denn der große Fels wies an dieser Stelle eine Höhlung von drei bis dreieinhalb Metern Tiefe auf. Der vordere Teil war durch einen Vorhang aus schwerem Bärenfell abgeteilt, der nun beiseite gezogen wurde, und Anchises, der Alte, trat heraus.
    Bevor der Vorhang sich wieder schloß, erhaschte Nothos einen Blick auf eine Gestalt, die auf einer Lagerstatt ruhte. Neben ihm kauerte eine Frau, die seinen Kopf mit Wasser aus einer Silberschüssel befeuchtete.
    »Wie geht’s ihm?« fragte Äneas.
    Der alte Mann hob die Schultern.

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