Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
deutete aufgeregt zum Hütteneingang und redete auf mich ein. Ich verstand nur immer den Namen Nafia.
Wollte sie mir sagen, dass Nafia doch zu Hause war? Zögernd trat ich in das Innere der Hütte. Es war ziemlich duster, sodass ich rasch wieder umkehren wollte. Ein letztes Mal rief ich Nafias Namen, und ehe ich es mich versah, huschte ein Schatten an mir vorbei und rannte nach draußen. Wie der Blitz schoss ich hinterher und schaffte es, sie am Eingang an ihrem ausladenden Rock zu greifen.
»Was soll das?«, schimpfte ich, doch Nafia hatte sich vor mir in den Staub geworfen und faltete die Hände. Was tat sie da? Betete sie? Mir war ihr Verhalten unerklärlich. Ich reichte ihr die Hand, woraufhin sie sich die Hände vors Gesicht schlug. Jetzt fiel es mir wieder ein. Hatte sie das nicht schon einmal gemacht?
Ich zog meine Hand zurück und blieb regungslos stehen. Offenbar befürchtete sie erneut, ich würde sie züchtigen wollen. Für mich ein Beweis, dass sie vom Diebstahl meines Geldes wusste.
Vorsichtig zeigte ich ihr die Münze, die ich mitgenommen hatte, um sie dafür zu bezahlen, dass sie mir ein Kleid nähte. »Brother?«, fragte ich und ließ das Geld hinter meinem Rücken verschwinden.
Nafia nickte. Dicke Tränen rannen über ihr ebenmäßiges, schönes Gesicht.
Ich wusste, wenn ich ihr meine Hand reichen würde, würde sie erneut in Panik geraten. Deshalb redete ich beruhigend auf sie ein. Ich weiß gar nicht, was ich alles gesagt habe. Dass sie keine Sorge haben müsse, ich würde sie nicht schlagen. Und dass ich es ja verstehen könne, warum ihr Bruder hatte fliehen müssen …
Irgendwann begriff Nafia, dass ich es gut mit ihr meinte. Sie erhob sich vom Boden und ließ sich den grünen Stoff von mir in die Hand drücken. Sie schien zu verstehen, was ich von ihr wollte, denn sie musterte meine Formen mit durchdringendem Blick. Plötzlich nahm sie meine Hand und zog mich zu meinem Haus. Ich wusste allerdings nicht, was sie von mir wollte, doch als sie, kaum, dass wir auf der Veranda angekommen waren, an meinem Kleid zerrte, schwante mir etwas: Sie brauchte es, um meine Maße zu haben. Zögernd zog ich es aus und reichte es ihr. Nun stand ich in meinen Unterkleidern vor ihr. Sie starrte mich an wie einen Geist. Ob sie diese Art von Unterkleidern nicht kannte? Es wurde Zeit, dass ich die englische Sprache lernte.
Bevor sie mit dem grünen Stoff über dem Arm davoneilte, wollte ich ihr noch die Münze in die Hand drücken, doch sie schüttelte energisch den Kopf. Sie wollte mein Geld nicht. Ich drängte sie allerdings auch nicht, es anzunehmen. Nun waren wir quitt. Wir schenkten uns ein Lächeln. Und ich ahnte, dass ich eine Freundin auf der Plantage gewonnen hatte.
Die Ahnung wurde zur Gewissheit, als am nächsten Morgen auf der Veranda zwei wunderschöne neue Kleider hingen. Eines in meinem grünen Stoff, ein anderes in einem zarten Rosé. Ich weiß bis heute nicht, wie sie es geschafft hat, in einer einzigen Nacht zwei Kleider zu nähen. Es grenzte an Zauberei. Die beiden Kleider sind fast zu schön, um sie als Küchenhilfe zu tragen, war mein erster Gedanke, als ich sie ungläubig bestaunte. Dann erst fand ich unter meinem alten Kleid ein schlichtes beiges mit einer passenden Schürze.
Nafia verstand meine Dankesbezeugung auch ohne Worte.
Mittlerweile verstehe ich wenigstens schon den einen oder anderen Brocken. Das liegt daran, dass ich abends regelmäßig von Misses Leyland unterrichtet werde und jede freie Minute nutze, um zu lernen. Ich hasse es, wenn ich mich nicht unterhalten kann, zumal es mich brennend interessiert, was Marisha, die Köchin, aus ihrem bewegten Leben zu erzählen hat. Noch beschränkt sich unsere Unterhaltung auf Anweisungen, die sie mir mit Händen und Füßen erteilt. Aber das ist nicht schwer zu verstehen, wenn dir eine Schüssel Gemüse vor die Nase gestellt und ein Messer in die Hand gedrückt wird. Oder wenn die Köchin auf einen Berg voll mit schmutzigem Geschirr deutet.
Ohne dass wir uns unterhalten können, merke ich ganz deutlich, dass sie vor mir eine gewisse Scheu hat. Wahrscheinlich hat sie noch nie einer weißen Frau Befehle erteilt. Ich werde sie fragen, sobald ich der englischen Sprache mächtig bin.
Die nächsten Tage werde ich allerdings nicht zum Lernen kommen, weil die Rückkehr des Hausherrn bevorsteht. Misses Leyland läuft seitdem wie ein aufgescheuchtes Huhn herum und geht allen mächtig auf die Nerven. Den Grund, warum alles perfekt sein muss,
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