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Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)

Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ava Bennett
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wollte. Gegen diese Hütte war das Gästezimmer, dass ich ja anfangs für recht bescheiden erachtet hatte, eine hochherrschaftliche Behausung. Und wenn ich mir dann vorstellte, wie groß und prächtig meine Zimmer in Pits Haus gewesen waren …
    Mit einem Schrei riss mich Misses Leyland aus meinen Gedanken.
    »Nicht bewegen!«
    Ich tat, was sie verlangte. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie sie mit ihren derben Schuhen auf ein graufarbiges Insekt eintrat, das wie ein Krebs aussah.
    Nachdem sie das ein paarmal wiederholt hatte und sicher sein konnte, dass das gepanzerte Tier tot war, nahm sie ihren Fuß fort und befahl mir, dass ich es mir genau ansah. Ich musste mich sogar bücken.
    »Das ist ein Skorpion«, erklärte sie mir. »Und sein Stich kann tödlich sein! Sieh dich also vor. Untersuche vor dem Schlafengehen deine Hütte, und lass immer den Bambusvorhang geschlossen. Licht bekommst du draußen genug.«
    »Aber wird es nicht zu heiß?«
    »Nein, schau nach oben. Zwischen den Wänden und dem Dach ist es nach allen Seiten offen. So, und nun gebe ich dir diesen Tag frei. Geh ans Meer, sieh dir den Ort an, und vor allem: Lass dir dein Kleid nähen.«
    »Wie kann ich Ihnen für all das danken, Misses Leyland?«, fragte ich gerührt.
    »Indem du ein Auge auf Nafia hast, wenn der junge Herr zurückkehrt. Ich weiß, dass sie ein gefährliches Ding ist, und ich möchte nicht, dass es ein Unglück gibt.«
    »Ich glaube, Sie übertreiben. Nafia ist eine anständige junge Frau und kein Tier«, entgegnete ich ungehalten.
    Das brachte mir einen bitterbösen Blick der Haushälterin ein. Ich erkannte, dass unsere Freundschaft jederzeit ins Gegenteil umschlagen konnte. Misses Leyland war offensichtlich nur ihresgleichen gegenüber freundlich gesonnen. Und denen gegenüber, die ihre Meinung teilten. Ich nahm mir fest vor, meinen Mund nicht allzu weit aufzumachen. Doch ich hegte meine Zweifel, ob es mir gelingen würde. Schließlich war ich in einem Haus aufgewachsen, in dem man die Sklaverei regelrecht verdammte. Vater hatte sich deshalb sogar mit einigen Handelsherrn überworfen, die auf seinen Schiffen Sklaven hatten transportieren wollen. So waren ihm einige lukrative Geschäfte durch die Lappen gegangen, aber Vater war in diesem Punkt unbestechlich gewesen, obwohl er wusste, dass viele andere die Augen vor der Grausamkeit dieses Handels verschlossen und damit reich geworden waren.
    Ach, Vater, dachte ich traurig, es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, dass du uns verlassen hast. Dabei waren seit seinem Tod nicht einmal vier Monate vergangen. Mir kamen sie vor wie Jahre, denn ich war nicht mehr dieselbe. Voller Dankbarkeit dachte ich daran, was er mir mitgegeben hatte. Das waren sein Hang zum Humanismus und die damit verbundene Achtung vor den Menschen. In diesem Punkt war ich ganz und gar seine Tochter. Sich über schwarze Menschen zu erheben und ihnen sämtliche Rechte abzusprechen, war verabscheuungswürdig.
    Trotzdem zog ich es vor, zu schweigen und der Haushälterin nicht an den Kopf zu werfen, wie rückschrittlich ihre Ansichten waren.
    Misses Leyland machte eine wegwerfende Geste. »Ach, das hat doch gar keinen Sinn, mit jemandem wie dir darüber zu sprechen. Du hast ja nicht die geringste Ahnung. In deiner Heimat gibt es so etwas nicht, aber hier gehört es zum Alltag. Und wenn du nicht lernst, diese Kreaturen richtig einzuschätzen und entsprechend zu behandeln, wirst du böse Überraschungen erleben. Aber wer nicht hören will, muss fühlen. Du wirst schon deine Erfahrung machen.«
    Ich stieß einen tiefen Seufzer aus und dachte mir meinen Teil. Ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen, dass ich niemals solche Ansichten vertreten würde wie die Haushälterin, und wenn ich für den Rest meines Lebens auf dieser Insel verbringen musste. Und das, obwohl mir ein Sklave all mein Geld – auch das von Pit, das ich ebenfalls unter der Matratze verwahrt hatte – gestohlen hatte.
    Misses Leyland aber schien ernsthaft beleidigt und verließ grußlos mein neues Heim. Ich konnte nur hoffen, dass ich es mir nicht völlig mit ihr verscherzt hatte, denn von ihrem Wohlwollen hing meine nahe Zukunft ab.
    Ich spürte plötzlich erneut, wie mir das dicke Kleid am Körper klebte, griff mir den grünen Stoff und machte mich auf den Weg zu Nafias Hütte.
    Ich rief ihren Namen, doch ich bekam keine Antwort. Ich versuchte es noch einmal. Vergeblich! Ich wollte bereits aufgeben, da kam eine ältere schwarze Frau des Weges,

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