Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
Missus, was anziehen. Aber Mann tot, Frau tragen schwarze Kleid.«
Valerie errötete. Daran hatte sie überhaupt nicht gedacht. Sie galt ja nun als Witwe, musste sich dementsprechend kleiden und auch so benehmen. Eine Witwe, die im Reitdress zu ihren Plantagen galoppierte, war mit Sicherheit mehr als unschicklich.
»Ich habe schon verstanden, Jerome. Du kannst Montego Lady wieder absatteln. Hol mich mit der Kutsche vor dem Portal ab. Ich ziehe mich nur rasch um. Und bitte nenn mich nicht Missus!«
»Wird gemacht, Misses Valerie!«, lachte Jerome.
Valerie rannte zum Haus zurück. Sie hatte sich zu Großmutters Beerdigung ein schwarzes Kostüm gekauft, das sie aber nur an dem Tag getragen hatte. Von Enkelinnen wurde keine Trauerkleidung erwartet, aber von Witwen.
Jerome warf ihr einen anerkennenden Blick zu, als sie schwarz gekleidet in die Kutsche stieg. Und als sie im Vorüberfahren feststellte, wie vielen Menschen sie an diesem Tag unterwegs begegneten, war sie froh, dass er ihr den Hinweis mit der Trauerkleidung gegeben hatte.
Wie immer wartete Jerome am Tor zur Plantage. Die Wege durch die Felder waren zu uneben, um sie mit einem Wagen zu befahren. Valerie staunte nicht schlecht, als sie Geralds neues Haus sah. Sie hatte ihm erlaubt, es so groß und schön zu errichten, wie er wollte. Und er hatte binnen zwei Monaten ein wunderschönes Holzhaus mit einer großen Veranda gebaut. Als sie näher kam, hörte sie Rosa voller Inbrunst singen. Valerie blieb stehen und versteckte sich schnell hinter dem Stamm eines gewaltigen Brotbaums. Die junge Frau hatte eine Stimme, die Valerie bis tief ins Herz berührte. Als Rosa plötzlich verstummte, war Valerie regelrecht enttäuscht. Sie hätte dem Lied, von dem sie allerdings kein Wort verstand, noch stundenlang lauschen mögen.
Valerie trat aus dem Schatten des Brotbaumes hervor und ging auf das Haus zu. Gerald stand schon in der Tür und winkte ihr zu. Er schien bester Stimmung zu sein, stellte sie fest.
»Schön, dass Sie es endlich geschafft haben, Misses Valerie. Das wurde aber auch langsam mal Zeit.«
»Das Haus ist wunderschön«, erwiderte sie. Ihr Eindruck verstärkte sich noch, als er ihr voller Stolz das Innere des Hauses vorführte. Es war von einer anheimelnden Gemütlichkeit, die Geralds Haus vorher nicht besessen hatte. »Und wie hübsch es eingerichtet ist.«
»Das ist alles das Werk meiner Frau«, erklärte Gerald. Valerie entging nicht, dass seine Augen funkelten, während er von Rosa schwärmte.
»Was halten Sie davon? Trinken Sie einen Tee mit uns, bevor wir zur Destillerie gehen?«
Valerie nickte und fuhr fort, sich neugierig umzusehen. Bis ins kleinste Detail war die einfache Einrichtung perfekt aufeinander abgestimmt.
»Also wirklich, Gerald, hier kann man sich wohlfühlen«, rief Valerie begeistert aus.
»Das sollten Sie gleich noch einmal wiederholen. Es ist ja schließlich auch für Rosas Ohren bestimmt.«
Er strahlte über das ganze Gesicht und deutete hinter Valerie. Sie drehte sich um. Die hochschwangere Rosa strahlte genauso wie er. Sie ist wunderschön, musste Valerie neidlos zugeben. Sie war bis auf den Bauch immer noch schlank und rank, aber ihr Gesicht hatte rundere Züge bekommen, und das stand ihr ausgezeichnet.
Was ist mit den beiden geschehen, fragte sich Valerie. Sie hatte fast ein schlechtes Gewissen, dass sie zumindest Rosa die gute Stimmung gleich mit der Nachricht über Ethans Tod verderben würde. Doch bevor sie etwas sagen konnte, trat Rosa einen Schritt auf sie zu und nahm ihre Hand. Valerie war völlig verblüfft.
»Es tut mir so leid«, raunte Rosa.
»Sie wissen es schon?«
»Ja, Doktor Brown war hier und hat es mir gesagt.«
»Wann?«
»Heute Morgen.«
Valerie wusste, dass es kleinlich war, sich in Gedanken auszumalen, dass Doktor Brown es Rosa früher als ihr mitgeteilt hatte, aber es gab ihr einen Stich.
»Tja, inzwischen weiß es wohl jeder, dass Sie Gerald nur geheiratet haben, um zu vertuschen, dass Sie von Ethan schwanger sind«, rutschte es ihr bissig heraus.
»Das geht zu weit, Misses Valerie«, mischte sich Gerald empört ein. »Wie können Sie so etwas behaupten?«
Zur Bekräftigung seiner Worte stellte er sich neben Rosa und legte ihr beschützend den Arm um die Schulter. Sie sah ihn dankbar an. Und da sprach noch mehr aus seinen Augen als Dankbarkeit. War es Liebe? Valerie war verwirrt.
»Es ist gleichgültig, was einmal war«, fügte Gerald nachdrücklich hinzu. »Jetzt sind wir beide ein
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