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Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)

Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ava Bennett
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mit zurück über den großen Teich nehmen würden, wenn die Ernte des Zuckerrohrs entfallen und deshalb auch kein neuer Rum hergestellt werden konnte. Heute nicht, entschied Valerie, heute sah sie sich nicht in der Lage, einen Brief an die Verwandten zu schreiben. Noch hatte sie ein paar Monate Zeit, und bis dahin musste ihr etwas eingefallen sein. Sonst blieben die Schiffe leer und die Kassen über kurz oder lang ebenfalls.
    Plötzlich stand Asha in der Tür. Ihre Augen waren verquollen.
    »Was ist geschehen?«, fragte Valerie besorgt, doch Asha blieb ihr eine Antwort schuldig.
    »Doktor Brown wartet unten in der Halle und wünscht Sie zu sehen«, verkündete sie steif.
    »Dann bitten Sie ihn in den Salon und servieren uns einen Tee«, erwiderte Valerie sichtlich erfreut. Sie hatte auch schon überlegt, ob sie ihn aufsuchen sollte, um ihn direkt nach ihrer Meinung zu ihren Plänen Ethan betreffend zu befragen. Es musste ihm schier das Herz brechen, dass er nicht sein Praxisnachfolger werden würde, weil er Montego Bay ihretwegen mied.
    Er kann nur begeistert sein, ging es Valerie durch den Kopf.
    Als der alte Doc den Salon betrat, erschrak sie jedoch. Er ging gebückt und sah um Jahre gealtert aus. Seine Haut war aschfahl und der Blick aus seinen sonst stets blitzenden Augen seltsam leer.
    Bevor Valerie ihn nach dem Grund fragen konnte, stöhnte er: »Ethan ist tot!«
    Valerie starrte ihn an wie einen Geist. Das kann nicht sein, er ist doch noch so jung, dachte sie. Wie von ferne hörte sie den Doktor sagen: »Er hat sich am Dengue-Fieber infiziert und konnte sich selbst nicht helfen. Einer seiner Mitarbeiter hat mich gerufen, da lag er schon im Sterben. Er war noch bei Bewusstsein, als ich eintraf, aber es ging aufs Ende zu. Sein Gesicht war überall mit roten Stellen übersät und …« Er stockte und wischte sich hastig mit dem Ärmel seiner Jacke über die feuchten Augen. »Er bat mich, dir zu sagen, dass du ihm verzeihen mögest. Er hat geglaubt, allen Beteiligten gerecht zu werden, als er die Ehe zwischen Rosa und Gerald arrangiert hat. Er bedauert es zutiefst.«
    Valerie schluckte. Doktor Brown kannte Ethans Geheimnis.
    »Du wusstest also von Rosas Schwangerschaft? Warst du in den Plan eingeweiht?«
    Doktor Brown schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe mir nur meinen Teil gedacht, nachdem Rosa uns Hals über Kopf verließ, ich sie wenig später traf und sah, dass sie schwanger war. Ich habe Ethan gefragt. Er schien erleichtert, dass er es mir noch vor seinem Tod anvertrauen konnte. Valerie, bitte verzeih ihm!«
    »Das habe ich doch längst. Ich wollte ihn sogar gerade bitten, ob er nicht wieder zu mir nach Sullivan-House ziehen könnte«, schluchzte Valerie auf und warf sich dem alten Mann an die Brust. Vereint weinten sie um Ethan.
    »Kommst du zur Beerdigung, Valerie?«, fragte Doktor Brown schließlich.
    »Aber natürlich«, schniefte sie.
    Kaum hatte der alte Mann sich die letzte Träne aus dem Augenwinkel gewischt, machte er sich schon wieder zum Gehen bereit. Es war ein trauriger Anblick, wie er zur Tür schlurfte, als wäre er hundert Jahre alt. In diesem Zustand konnte er weder praktizieren noch allein in seinem Haus wohnen. Ein Gedanke durchzuckte sie.
    »Willst du nicht bei mir einziehen? In Großmutters Räumen, da ist so viel Platz!«, platzte es förmlich aus ihr heraus.
    Er wandte sich ihr zu und musterte sie liebevoll. »Danke, mein Kind, das ist sehr nett von dir. Aber ich gehöre in mein Haus, und es wäre eine Ironie des Schicksals, wenn ich eines Tages ohne Hanne in ihrem Haus leben würde.« Für den Bruchteil einer Sekunde umspielte ein Lächeln seinen Mund.
    »Schade«, bemerkte sie enttäuscht. »Ich glaube, ich ende wie meine Großmutter als einsame schwarze Frau auf dem Hügel!«
    Wieder war ein Anflug von Lächeln im Gesicht des alten Mannes zu erkennen. »Sie war nicht immer einsam. Als sie so jung wie du war und auch noch, als sie zu uns nach Jamaika kam und schon eine gestandene Frau war, da war sie die umschwärmteste Schönheit weit und breit. Damals hat sie nicht im Traum daran gedacht, ihr Leben allein zu fristen. Außerdem hatte sie ja Henny …« Er stockte. »Tut mir leid. Dass ich sie erwähnt habe …«
    »Keine Sorge«, raunte Valerie. »Großmutter hat mir schon vor Monaten ihr Tagebuch gegeben. Und ich denke, ich werde noch früh genug alles erfahren.«
    Doktor Brown strich ihr unbeholfen über die dunklen Locken. »Du bist noch so jung. Du wirst eine Familie haben.

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