Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
Mylady«, flüsterte er drohend. »Ich behalte die ganze Plantage und hole mir dein Geheimnis mit Gewalt. Die Schonfrist ist vorüber!«
Sein schmerzhafter Griff löste sich. Valerie hörte nur noch seine sich hastig entfernenden Schritte. Wie betäubt kehrte sie zum Restaurant zurück. Da war sie wieder: die nackte Angst! Auf einmal meinte sie, eine innere Stimme zu hören, die wie die ihrer Großmutter klang. Sie flüsterte: »Keine Angst, kein Hamilton kann uns je besiegen. Du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt, mein Kind. Ich dachte schon, du würdest uns verraten … Wappne dich zum Kampf. Du wirst gewinnen!«
An der Tür vor dem Restaurant blieb Valerie stehen, glättete ihren Rock und fuhr sich durch das Haar. Sie meinte, damit die Spuren ihrer Auseinandersetzung mit Richard Fuller verwischen zu können. Das gelang ihr allerdings nicht.
Als sie sich dem Tisch näherte, sprangen sowohl Gerald und Mister Kilridge aufregt von ihren Stühlen auf.
»Mein Gott, was hat er mit Ihnen gemacht?«, fragte der Geschäftsführer aufgeregt.
»Valerie, das war der Mann, der mir das Bestechungsgeld angeboten hat! James Fuller!«, stieß Gerald besorgt hervor.
»Ich weiß, Gerald, aber es handelt sich um Richard Fuller.« Valerie ließ sich auf ihren Stuhl fallen. In ihrem Kopf wirbelten die Gedanken ungeordnet durcheinander. Sie spürte die Erleichterung, dass James nichts mit der Sache zu tun hatte, dann aber dominierte die Befürchtung, dass sie das Unternehmen ohne Zuckerrohr womöglich in den Ruin treiben würde.
»Gerald, bitte sorgen Sie dafür, dass die Destillerie ab sofort Tag und Nacht bewacht wird. Und stellen Sie auch am Tor zwei Wachtposten auf. Es darf niemand Unbefugtes mehr auf das Gelände unserer Plantage gelangen.«
»Das werde ich sofort in die Wege leiten«, erwiderte der Brennmeister und Verwalter entschlossen.
»Und Sie, Mister Kilridge, schicken ein paar Leute kreuz und quer über die Insel. Sie sollen versuchen, eine Plantage zu finden, die nicht zerstört worden ist und die der Pflanzer lieber heute als morgen verkaufen würde. Egal, wo.«
»Aber Sie wissen, dass wir das Zuckerrohr nach der Ernte sofort verarbeiten müssen, weil es sonst nicht mehr zu gebrauchen ist, nicht wahr?«, gab Gerald vorsichtig zu bedenken.
»Ich weiß, aber wenn es sein muss, bauen wir dort auf die Schnelle neue Anlagen und produzieren vor Ort. Hauptsache, die Schiffe, die im Februar zurück nach Flensburg fahren, haben genügend Fässer mit Rum an Bord«, erklärte Valerie kämpferisch.
»Eine Kämpferin wie unsere alte Misses Sullivan!«, schwärmte Mister Kilridge.
Valerie rang sich zu einem Lächeln durch. Wenn die beiden Männer wüssten, dass mich die letzten Worte von Richard Fuller immer noch innerlich erzittern lassen, ging ihr durch den Kopf. Noch einmal schweiften ihre Gedanken zu James ab. Was der wohl sagen würde, wenn er wüsste, mit was für unlauteren Mitteln seine Mutter und sein Bruder kämpften? Und wie würde Cecily reagieren? Valerie stieß einen tiefen Seufzer aus. Ihre Freundin würde von alledem nichts hören wollen. Aber James würde etwas unternehmen: dessen war sie sich sicher. Ich befürchte, ich werde Cecilys Einladung annehmen müssen, um bei der Gelegenheit James in Kingston zu treffen, dachte Valerie, bevor sie sich ihren treuen Mitarbeitern zuwandte. Ob sie den beiden von Richards unverhohlenen Drohungen berichten sollte? Nein, wenn sie alles unternahm, um das Geheimnis vor gewaltsamen Zugriffen zu schützen, würden es leere Drohungen bleiben. Warum sollte sie die beiden Männer unnötig mit diesem Geschwätz belasten?
20
Frederiksted, Saint Croix, Juni 1832
I ch komme kaum zum Tagebuchschreiben. Es ist unglaublich, aber wahr. Inzwischen lebe ich schon seit über vier Monaten in »meinem kleinen Paradies«. Die Zeit vergeht wie im Fluge, denn entweder bin ich in der Küche beschäftigt oder lerne Englisch. Mittlerweile konnte ich mich mit allen unterhalten, auch mit Marisha.
Ich merke, es fällt mir schwer, sie zu erwähnen. Mir kommen sofort die Tränen, aber das ist eine andere Geschichte. Ich komme noch darauf zurück, aber ich will nichts vorwegnehmen.
Marisha hat mir in der Küche alle Freiheiten gelassen. Ich durfte so manches Mal ein ganzes Essen allein kochen. Das ergab sich, nachdem ich eingesprungen bin, als Marisha schwer krank war. Dafür hat sie so großes Lob der Herrschaften eingeheimst, sodass wir fortan öfter einmal die Rollen tauschten. Es
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